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70 Jahre
Michael Till Heinze
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Was hätte alles
aus ihm werden können…
Für MTH
zum Geburtstag 2007
von Aiso & Barbara
Vorwort
Jeder Mensch ist individuell
und jede
Biografie einzigartig.
Dennoch, so die Biografieforschung, gibt es in jedem Leben
charakteristische
Weichenstellungen. Was gewesen wäre, wenn eine Person an einer Weiche
die
„andere Bahn“ genommen hätte, ist Spekulation – oder auch nicht.
Michael Till Heinze wird 70
Jahre und
seine Biografie hätte durch verschiedene Weichenstellungen auch anders
aussehen
können. Wie an den folgenden Alternativbiografien zu sehen sein wird,
ist dies
zum Glück nicht
so gekommen…
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Michael Till Heinze
als Leiter eines DDR-Ziegenzuchtkombinats
Es war noch zu Kriegszeiten, als MTHs Eltern beschlossen, von Berlin nach Beeskow an der polnischen Grenze zu ziehen und dort eine Apotheke zu führen. Zwar floh die Familie später vor der anrückenden Roten Armee nach Westdeutschland, aber was wäre gewesen, wenn sie dies nicht getan hätte?
Nun, der
kleine Michael wäre wie alle
Kinder in der Nachkriegszeit zur Grundschule gegangen und hätte
schließlich in
der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR die Volksschule und
die
Erweiterte Oberschule besucht. Die unfreiwillige Mitgliedschaft in der
Freien
Deutschen Jugend hätten seine Eltern sicher lange herausgezögert, doch
den
Widerstand aufgrund der Zukunftschancen des Sohnes wohl irgendwann
aufgegeben.
Da Michael schon immer gut im Organisieren war, konnte er auch schnell
aufsteigen
und Pöstchen und Posten übernehmen. Leider zeigte sich auch damals
schon, dass er
Schwierigkeiten hatte sich unterzuordnen. Mehrfache Rügen und
Selbstkritiken
waren die Folge und dies hatte in einem besonderen Fall Konsequenzen.
MTH hatte
nämlich eigenmächtig beschlossen, dass der Applaus nach einer Rede des
Genossen
Kreissekretärs auf den ruhmreichen Genossen Josef Stalin nur 5 Minuten
und 50
Sekunden dauern brauchte statt der vorgesehenen 6 Minuten. Dies war
umso problematischer,
da die von MTH angeleiteten 25 Jungpioniere neben dem Rednerpult
versammelt
waren, um anschließend das Lied der Freien Deutschen Jugend zu
singen. Kurzum,
aufgrund verräterischen und revanchistischen Verhaltens sowie auf
Basis
eines Paragrafen zur Verhinderung von Sektierertum und
Fraktionsbildung wurde
MTH all seiner FDJ-Posten enthoben. Zugleich wurde er vom Abitur und
dem
Studium ausgeschlossen und musste sich in der landwirtschaftlichen
Produktion bewähren.
Für die Eltern war dies
natürlich ein schwerer Schlag, konnte der Erstgeborene so doch nicht in
die
volkseigene pharmazeutische Genossenschaft eintreten und dort den Job
des
Vaters erben. Während dies der zweite Sohn übernehmen musste, wurde MTH
fernab
in die Thüringischen Mittelgebirge geschickt, um in einem
Ziegenzuchtkombinat
zu arbeiten, sich in realsozialistischer Ziegenaufzucht zu läutern
und die Lehren
von Marx, Engels und Lenin zu studieren. Womit die DDR-Genossen
allerdings
nicht gerechnet hatten, war die Begeisterung, mit der MTH sich der
landwirtschaftlichen
Tätigkeiten annahm. Er studierte zwar nicht die Lehren Lenins,
beschäftigte
sich aber mit anderen Ziegenbärten und sammelte so ein umfangreiches
Wissen
über Fauna und Flora an. Bei den halbjährlichen Kontrollbesuchen
des Kreissekretariats
der FDJ zeigte sich MTH selbstkritisch und noch nicht reif für eine
Rückkehr
in die realsozialistische Gemeinschaft. Dies klappte mehrere
Jahre, bis
ein etwas intelligenterer FDJ-Sekretär meinte, MTH wolle sich als Kind
der Bourgeoisie
vor seinem Beitrag beim Aufbau des Realsozialismus drücken. MTHs
Bemerkung,
dass er durch das Studium der Ziegen, ihres Meckerns und ihrer Bärte
einen
sehr viel tieferen Einblick in das Denken des Genossen
Generalssekretärs Walter
Ulbricht bekommen hätte, verschaffte ihm ganz unproblematisch noch
einige
Monate auf dem Lande.
Schließlich
war es aber damit vorbei. MTHs Eltern hatten über Vitamin B einen hohen
SED-Funktionär dazu gebracht, die Bewährung in der Produktion
aufzuheben. Bedingung
war allerdings, dass die Partei über MTHs Einsatz- und Arbeitsort
bestimmen
durfte. So kam es, dass er nach einem halben Jahr in der
Stasi-bewachten Apotheke
seiner Eltern zum stellvertretenden Abteilungsleiter der
Ziegenzucht-LPG
„Walter Ulbricht“ in Brandenburg ernannt wurde. Stasi und SED hatten
erkannt,
welches Organisationstalent in MTH schlummerte und sein Wissen über
Ziegen
und andere Kleinnutztiere war auch nicht verborgen geblieben.
Gleichzeitig war
aber klar, dass MTH seine Stelle in keiner Weise zur Gefährdung des
Realsozialismus
ausnutzen sollte, sodass ein umfangreicher Überwachungs- und
Spitzelapparat auf
ihn angesetzt wurde. MTH störte sich nicht daran und ging frisch ans
Werk. Die
LPG wurde aufgemöbelt, Ziegen aller Rassen herangezogen, die Abteilung
Schafzucht „Wilhelm Pieck“ eröffnet und schließlich auch Ställe für die
Kaninchenzucht
„Günther Mittag“ und die Hähnchenzucht „Otto Grotewohl“ aufgebaut.
Als ein besonderes
Bonbon leistete sich MTH noch die Schlangenzucht „Erich Mielke“ und
erklärte
den Genossen, dass es hier um die Geheimproduktion der Delikatesse
Schlangenfleisch für das Politbüro in Wandlitz ginge.
Da die Erfolge nicht auf sich warten
ließen, folgte
ein unaufhörlicher Aufstieg, der durch den sog. demokratischen
Zentralismus
noch beschleunigt wurde. MTH wurde Erster Sekretär des allgemeinen
Verbands
für Klein- und Nutztiere der DDR und reiste durchs Land. Durch
Ausspielen
seiner umfangreichen aber unabhängig agierenden Aufsichtspersonen
aus der
Staatssicherheit gelang es ihm, mehr und mehr Freiräume zu schaffen.
So war beispielsweise
die aufgebaute Habicht- und Schleiereulenzucht „Erich Honecker“
natürlich
ein Geheimauftrag des Verteidigungsministeriums zur Vorbereitung
von Guerillaaktivitäten im Rahmen der
internationalen
Solidarität für Nicaragua.
Mit der Wende
1989 zerbrach dann
allerdings MTHs aufgebaute Nische. Als angeblicher hoher
DDR-Funktionär
wurde er gleich nach der Vereinigung 1990 fristlos entlassen und
mittellos
auf die Straße gesetzt. Klagen auf eine Mindestrente wurden
abgeschmettert,
da er in einer Führungsposition zur Stabilität der DDR
beigetragen habe.
Dass MTH dabei selber von der Stasi überwacht wurde und somit Opfer
war, wurde
vollständig ignoriert. Als er seine Akten einsah, musste er
feststellen,
dass vier Regalmeter Berichte über ihn verfasst worden waren.
Zeitweise
waren 24 inoffizielle Mitarbeiter auf ihn angesetzt, darunter
Spezialisten
für Ziegen, Schlangen und Greifvögel. Es wurde genauestens registriert
und
dokumentiert, in welchem Rhythmus MTH die Ziegen auf den Weiden
umsetzte, wann
er von den üblichen Ziegenfütterungszeiten abgewichen war, dass er
beim
Füttern der Greifvögel immer „einen für Onkel Honecker, einen für
Onkel
Mielke …“
sagte. Aber selbst diese nachweisliche
Verfolgung
nützte nichts.
Der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst der BRD bezichtigten ihn der Unterstützung von militanten kommunistischen Aktionen und belegten dies mit der Habicht- und Schleiereulenzucht „Erich Honecker“. Und auch die Schlangezucht „Erich Mielke“ wurde reißerisch von der Bild-Zeitung ausgeschlachtet: MTH habe angeblich auftragsgemäß Schlangenleder für die Schuhe der verwöhnten Töchter der SED-Bonzen produziert. So blieb für MTH nur, sich mit einigen wenigen verbliebenen Ziegen in eine kleine Hütte in den Weiten Brandenburgs zurückzuziehen und man kann sagen: Man gut, dass es nicht so gekommen ist...
Michael Till Heinze
als Pharmazeut
Bekanntermaßen war es ja so, dass MTHs Eltern
nicht in
Beeskow verweilten, sondern nach dem Krieg über Umwege in Osnabrück
landeten.
Dies hatte nicht nur zur Folge, dass es kein Ziegenzuchtkombinat
„Walter
Ulbricht“ gab, sondern es eröffneten sich auch andere
Entfaltungsmöglichkeiten.
Es war ja seitens der Eltern vorgesehen, dass MTH nach dem Abitur eine
pharmazeutische Ausbildung machen sollte, um die Apotheke zu
übernehmen. Schon
während des Studiums der Pharmazie fiel MTH als begeisterter
Experimentator
auf, der verschiedene Substanzen kombinierte und daraus wiederum neu
entstandene Substanzen extrahierte. Diese Experimentierfreude hielt
auch an,
als er bereits als Apotheker in Osnabrück tätig war und seinem Vater
die Buch-
und Geschäftsführung überließ.
MTH stand zumeist im kleinen
pharmazeutischen Labor
und experimentierte. Neue Cremes, Salben und Tröpfchen wurden auf
Verträglichkeit natürlich zunächst im Selbstversuch getestet, bevor
sie dann
in den Handel eingeschleust
wurden. Dies war zwar nicht ganz legal und
insbesondere
die Arzneimittelaufsicht und die Apothekenkammer hätten die
Apothekerapprobation
sofort entzogen, doch MTH kümmerte dies wenig. Zu seinen
Apothekerkollegen,
die zumeist auf dem Golfplatz oder auf den Tennisplätzen zu finden
waren,
hatte er kaum Kontakt. Nur wenn diese wieder einen ihrer Vertreter zu
ihm
schickten und an angeblich traditionelle Absprachen hinsichtlich
Arzneimittelpreise
und inoffizielle Kundenbezirke erinnerten, musste MTH sich mit
ihnen
auseinandersetzen. Dies endete meistens damit, dass er die Kollegen
mit
einem „Weiß ich doch nicht, warum alle Patienten immer zu mir kommen!“
hinauswarf.
Mit der Zeit zeigte sich in
der Tat, dass MTH ein Händchen für Salben, Cremes, Tröpfchen und
Wässerchen
hatte. Es sprach sich herum, dass es in Heinzes Apotheke
außergewöhnliche und
individuell produzierte Mittel für fast alle Wehwehchen gab – und dies
zumeist
auf Naturbasis. Am besten lief eine Creme aus besonderen
Naturkräuterextrakten,
die MTH in seinem eigenen Garten heranzog. Zwar enthielt diese nicht
ganz legal
eine ordentliche Portion Hanf, aber gerade dies machte scheinbar die
gute
Wirksamkeit des Mittelchens aus. Es ergab sich, dass MTH nach und nach
einen
Versandbetrieb aufbaute, einen eigenen Katalog herausbrachte und die
Nachfrage
kaum bedienen konnte. Dies blieb natürlich nicht unbeobachtet und so
kam es,
dass nach einiger Zeit ein Pharmavertreter vor der Tür stand. Wie
üblich holte
MTH beim Anblick des Pharmavertreters aus dem Garten seine Mistforke,
doch
überzeugte dieser ihn schnell, dass er nicht verkaufen, sondern kaufen
wollte.
Im Auftrag eines großen Pharmaunternehmens aus Leverkusen bot der
Unterhändler an, den Versand und die Vermarktung des bisherigen
Selbstvertriebs
zu übernehmen. MTH sollte neben einer üppigen Gewinnbeteiligung
zusätzlich
mehrere Angestellte für die Produktion erhalten, sich vertraglich
verpflichten,
weiter zu experimentieren, und für die Werbung verfügbar sein. Freudig
ging der
Osnabrücker Apotheker auf das Angebot ein, denn es verschaffte ihm
neue
Freiräume. Das ganze Abrechnen, Verpacken und Versenden war ihm schon
länger
auf den Geist gegangen und er war kaum noch zum Experimentieren
gekommen.
Leider zeigte sich allerdings nach kurzer
Zeit, dass
Geschäfte mit der Pharmaindustrie grundsätzlich gefährlich sind.
Anfangs schien
der Vertrag noch zu halten, was er versprach. MTH brauchte sich
verwaltungsmäßig um nichts mehr zu kümmern und die Gewinne sprudelten.
Zwar
wunderte er sich, dass seine wenigen Cremes, Salben und Tröpfchen so
viel
Gewinn abwarfen, doch dachte er, die Pharmaindustrie wird schon die
Preise
entsprechend erhöht haben. Was aber tatsächlich hinter den großen
Gewinnen
stand, erfuhr MTH im Wartezimmer beim Zahnarzt, als er per Zufall in
einer
Frauenzeitschrift blätterte. In einem doppelseitigen Inserat wurde
dort mit
einem Foto von ihm für eine Anti-Falten-Creme geworben, die er nie
hergestellt
hatte. Etwas später sah er sich im Fernsehen in einem Werbespot
wieder, in
dem eine Hautcreme „MTH – AntiAge“ (sprich: em-ti-etsch - anti-etsch)
angepriesen
wurde. Auffällig war auch, dass er eine Einladung vom
Apothekerverband bekam,
da seine Kollegen, mit denen er keinen Umgang mehr pflegte, ihn für
den Apotheker
des Jahres vorgeschlagen hatten. Und als dann noch in der
Apotheken-Umschau
ein mehrseitiger Bericht über ihn und seine angebliche Anti-Age Creme
erschien,
wendete er sich an den Pharmavertreter und wollte seinen Vertrag
auflösen.
Wie zu erwarten war, wurde dies abgelehnt und auf das Kleingedruckte im Vertrag verwiesen. Dort hatte MTH sich verpflichtet, mit seinem Namen für seine Produkte zu werben. Außerdem war der Vertrag auf 20 Jahre Laufzeit abgeschlossen und das Pharmaunternehmen drohte Millionenforderungen an, falls MTH vertragsbrüchig würde. Sein Hinweis, dass er die Anti-Age Creme gar nicht produziert hätte, wurde zurückgewiesen, denn es handele sich sehr wohl um sein Produkt. Er hätte es zwar während seiner Studentenzeit für die Milchziegenzucht zur Vorbeugung von Euterentzündungen entwickelt, aber dies sei egal. Die Großproduktion laufe nun einmal und er sei vertraglich verpflichtet.
Nach und nach
erfuhr MTH, mit welchem
strategischen Aufwand die Pharmaindustrie die Vermarktung dieser
Ziegencreme
vorangetrieben hatte. Er selber war nur ein kleines Feigenblatt in dem
Programm und diente dazu, Kontakt zum Kunden herzustellen, frei nach
dem
Motto „Aus Ihrer Apotheke vor Ort“. MTH musste Fernsehauftritte über
sich
ergehen lassen, Gesundheitsmagazine, Talkshows wie etwa bei Sabine
Christiansen
usw. usw. Bei Pharmakongressen wurden ihm für seine angeblich
revolutionäre
Anti-Age Creme Preise verliehen und der Slogan „MTH – AntiAge“
wurde
geschützt und hatte einen Wert von mehreren Millionen Euro. Der
Spruch
wurde sogar so berühmt und eingängig, dass in der Bundesliga
Fußballfans die
gegnerische Mannschaft mit „em-ti-etsch - anti-etsch“ verhöhnten.
Wikipedia hatte
bereits nach kurzer Zeit eine Webseite zur Erläuterung von „MTH“ ins
Netz
gestellt und auch die Duden-Redaktion nahm in der Rekordzeit von drei
Jahren
„MTH“ in ihr Verzeichnis deutscher Abkürzungen auf. MTH war darüber
natürlich
alles andere als glücklich. Zwar war er inzwischen Ehrenbürger
seiner Heimatstadt
und Millionär, aber sein Name war untrennbar mit einer
Ziegeneutercreme
verbunden, die sich nun Millionen Frauen ins Gesicht schmierten. Man
gut,
dass es nicht so gekommen ist...
Michael Till Heinze
als Literat
Glücklicherweise ist der pharmazeutische Kelch an MTH vorüber gegangen und er selbst hat mit dem Abbruch der Pharmazieausbildung tatkräftig die Notbremse gezogen. Eigentlich war er in jungen Jahren sowieso eher der Kunst und Literatur zugewandt und so ergab es sich, dass Michael als Abiturient bereits der Lyrik verfallen war. Davon zeugten nicht nur unzählig viele Bücher in seinem Regal, die das Etikett „Literatur“ verdienen, sondern auch seine Tätigkeit als Redakteur und Herausgeber der „Flugschrift für Lyrik“ während seiner Studentenzeit. Dass es bei diesem studentischen Selbstvertrieb natürlich nicht bleiben konnte, war logisch, denn auch schon in den Studentenjahren war klar, wenn MTH etwas macht, dann richtig. So folgten den poetischen und prosaischen Beiträgen kleine Theaterstücke, wobei MTH insbesondere zu Dramen und Tragödien neigte, aber auch das absurde Theater nicht gänzlich unbeachtet ließ. Seine Eltern wunderten sich inzwischen über gar nichts mehr und waren vollkommen hoffnungslos, als der Erstgeborene zum zweiten Mal alles hinwarf. Michael schmiss das Lehramtsstudium an der PH Osnabrück und ging zum Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft nach Berlin.
Dort
fand er sich in illustren Kreisen der deutschen
Nachkriegsschriftsteller
wieder. Er las sich eifrig durch die neuere Literatur, nahm an
Diskussionsrunden teil, besuchte oft das Theater und war auch modernen
Experimenten nicht abgeneigt. Einzig und allein die Musik, und hier
insbesondere
die Opern, wollten ihm in keiner Weise gefallen. Sein Talent zum
Schreiben
brachte ihm diverse Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Epik und
Lyrik der
60er“ ein und sein Name wurde innerhalb eines immer größer werdenden
Zirkels
von Eingeweihten ein Begriff. Kleine Bühnen baten ihn inzwischen darum,
seine
Stücke zu inszenieren, und endlich mit dem Magister der
Literaturwissenschaft
der Berliner Universität ausgezeichnet, konnte er sich ganz dem
Schreiben
widmen. Leider brachte dies wenig Geld ein und MTH sah sich nach
einiger
Zeit gezwungen, wieder nach Osnabrück zurückzukehren, um in der
elterlichen
Apotheke auszuhelfen. Dies allerdings hinderte ihn nicht daran,
sofort
Kontakte zum Osnabrücker Theater zu suchen und dort nach und nach die
Aufführung einiger seiner Stücke durchzusetzen. Nach dem Motto
„Besser in
der Provinz ein kleiner König als in der Welt ein großer Knecht“ stieg
MTH zum
Osnabrücker Literaten Nr. 1 auf. Relativ schnell folgten Aufführungen
seiner
Dramen in Hannover und Bremen, denn die westdeutsche Gesellschaft
lechzte nach
Nachwuchsschriftstellern. Die Provinzkritiker zeigten sich begeistert
und so
drang sein Name nach und nach auch in höhere Sphären vor, insbesondere
als Hans
Werner Richter bei einer Lesung in Hannover MTHs neuesten Band mit
Lyrik und
Novellen in die Hand bekam.
So kam es, dass eines Tages in der Osnabrücker Apotheke eine Einladung der Gruppe 47 einging: MTH wurde aufgefordert, auf dem nächsten Treffen des illustren Kreises der bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller vorzutragen. Es war klar, dass dies zweierlei bedeuten konnte: Entweder der Durchbruch oder die Vernichtung, denn bei den Treffen der Gruppe 47 waren auch immer Vertreter aller Verlage dabei, um gleich die geweihten Nachwuchsstars unter Vertrag zu nehmen. MTHs Eltern begannen sich erstmals für das Werk ihres Sprösslings zu interessieren und wollten sogar das Reisegeld nach Berlin spendieren. Allerdings zogen sie das Angebot kurzerhand wieder zurück, als der Sohn sich weigerte, den Blaumann gegen einen Anzug auszutauschen: MTH wollte auch vor den selbstgeweihten hohen Herren nicht kuschen. So ergab es sich, dass er in einer noblen Berliner Villa am Wannsee vor dem bedeutendsten Publikum der Nachkriegsgeschichte einige seiner Gedichte und einen Auszug aus einem gerade beendeten Drama vortrug – und zwar in unkonventioneller Kleidung. Die Reaktion war, kurz gesagt, ein rauschender Beifall und Begeisterung. MTH wurde als überzeugender Nachwuchsschriftsteller angesehen und ihm eine steile Karriere vorausgesagt. Die Gruppe 47 beschloss einige Wochen später, MTH den Nachwuchspreis zu verleihen, der mit einem hübschen Preisgeld ausgestattet war. Angemerkt sei, dass der Blaumann überhaupt kein Problem machte, denn es war das Jahr 1968 und die Kleidung ging als avantgardistisch durch. Kritiker haben allerdings später behauptet, MTHs Durchbruch sei nur auf seinen Blaumann zurückzuführen.
Die
Auswirkungen des Berlinbesuches
ließen nicht lange auf sich warten. Die Verlage schickten Vertreter in
die
Osnabrücker Apotheke und MTHs Vater konnte glücklicherweise einige
schlimme
Fehler des Sohnemanns beim Vertragsabschluss verhindern. Anfragen von
Theaterbühnen aus Hamburg, München und Berlin folgten; MTH war in den
kommenden
zehn Jahren immer unterwegs und inszenierte seine Stücke. Schließlich
bot das
Wiener Burgtheater ihm Anfang der 1980er Jahre eine Intendantur an, die
er
kurzerhand annahm. Wer glaubt, dass dies zu einer Unterbrechung oder
gar Ende
der rastlosen Tätigkeiten geführt hätte, der sah sich schnell
getäuscht. Aufführungen
in New York, Paris und London standen auf dem Plan, gepaart mit
Lesungen in
vielen Städten Deutschlands. Die üblichen Preise und Auszeichnungen
folgten,
angefangen vom Heinrich-Heine-Preis in Düsseldorf bis hin zum
Friedenspreis
des Deutschen Buchhandels. Jährliche Lesungen auf der Eröffnung der
Frankfurter Buchmesse waren fest eingeplant und Fernsehauftritte in
Talkshows
und Sendungen des TV Feuilletons unzählig. Berühmt wurden MTHs
Auftritte im
Literarischen Quartett bei Marcel Reich-Ranicki, bei denen er sich mit
dem
Literaturpapst Rededuelle und Debatten auf höchstem Niveau lieferte,
welche in
die Fernsehgeschichte eingingen.
Dies alles war natürlich einerseits nett, da
der
Erfolg zu genießen war. Andererseits stellte MTH fest, dass er nur noch
am
Reisen war und nur noch in Hotelbetten übernachtete. Als im Jahr 2001
schließlich auch noch der Literaturnobelpreis an MTH verliehen wurde,
zeigte
sich die negative Seite des Ruhmes in Gänze. Nicht mehr nur die
Literatur- und
Theaterkreise verlangten seine Auftritte, sondern auch die Politik
vereinnahmte den deutschen Nobelpreisträger, mit dabei insbesondere
diejenigen
Personen, die in jungen Jahren abfällig über MTHs Lyrik und Prosa
geschimpft
hatten. Es zeigte sich die ganze Verlogenheit der Politiker- und
Journalistenkaste,
was MTH mehr und mehr in Wut versetzte. Gleichzeitig stellte er fest,
dass er
nur noch über seine Werke sprach, aber durch die vielen Termine kaum
mehr die
Zeit und die Ruhe hatte, neue Werke zu schaffen. MTH fand sich wieder,
eingeklemmt
zwischen kreativem Schöpferdrang und rastloser Zeitverschwendung
durch
gesellschaftliche Verpflichtungen, aus denen es kein Entrinnen gab.
Man
gut, dass es nicht so gekommen ist...
Michael Till Heinze
als Bildungsforscher
Wie ja allgemein bekannt, ist aus der Literaturkarriere glücklicherweise nichts geworden. Stattdessen hat Michael das Lehramtsstudium ordnungsgemäß abgeschlossen und eine Lehrerstelle in Ostfriesland angetreten. Nach einiger Zeit schaffte er es sogar, auf die Schulleiterstelle der Volksschule Backemoor befördert zu werden. Dies war die Initialzündung zu einem systematischen Umsetzen seiner zukunftsorientierten bildungspolitischen Ideen. Zwar brauchte er erst einige Zeit, um die Backemoorer Bevölkerung zu überzeugen, dann aber hatte er praktisch freie Hand und konnte gestalten, wie er es wollte. Aus heutiger Sicht ist es nahezu unglaublich, in welch vielfältiger Weise MTH bereits in den frühen 1970er Jahren moderne Bildungskonzepte entwickelte und auch in den Schulalltag implementierte. Interessierte Leser seien hier auf das wissenschaftliche Opus von Webbe Heinze hingewiesen, der dieses 2001 mittels Archivforschung sowie durch biografieanalytischen Zeitzeugeninterviews überzeugend nachgewiesen hat.
Entsprechend
gilt die Backemoorer
Schule unter der Leitung von MTH aus heutiger Sicht als Keimzelle
verschiedener
Bildungskonzepte, die nicht nur eine adaptive Schülerorientierung
fokussierten,
sondern auch ein reflektiertes Lehrerhandeln zur kognitiven Aktivierung
der
Lernenden in den Vordergrund stellten. So führte MTH in seinen
Anfangsjahren
bereits Maßnahmen zur frühkindlichen und vorschulischen Bildung durch,
die in
der bildungspolitischen Diskussion erst seit 2005 solch einen
Stellenwert
innehaben, der eine breite praktische Umsetzung bewirken könnte. Zu
nennen
sind natürlich auch die Konzepte des Offenen Unterrichts, die sich in
den
1980er Jahren langsam in der deutschen Grundschulpädagogik
durchsetzten und
heute nicht mehr wegzudenken sind. MTH verfolgte diese Unterrichtsform
in
seiner Schule bereits zu Beginn der 1970er Jahre. Aber auch die
evidenzbasierte
Unterrichtsplanung, welche die Verwendung von standardisierten
Leistungstests
als eine von mehreren Grundlagen für die Planung des weiteren
Unterrichts
vorsah, wurde in Backemoor bereits praktiziert. Während sich heute
Lehrer mit
Gewalt gegen standardisierte Orientierungs- und Vergleichsarbeiten
wehren, da
sie scheinbar befürchten, nicht mit den Ergebnissen umgehen zu können
und
testgläubig zu werden, wurden an Heinzes Schule Tests als eine Methode
zur
Individualdiagnostik herangezogen, um sinnvolle ergänzende
Lerngelegenheiten zu
gestalten. Individualisierung der Lerngelegenheiten im Unterricht, ein
Schlagwort der Schulpädagogik der 1990er Jahre, war in Backemoor schon
20
Jahre zuvor Standard.
Nun ist es aber nicht so, dass MTHs
Schulpraxis auf
offene Ohren gestoßen wäre. Insbesondere MTHs kreativer Umgang mit den
Lehrplänen,
d.h. die Nutzung von Lehrplänen als Zielvorgaben für zu erreichende
Schülerkompetenzen, wurde von Kollegen und Schulverwaltung alles
andere als
positiv gesehen. Während heute kompetenzorientierte Curricula das
Mittel der
Wahl sind und unsere Bildungspolitiker mit jahrzehnterlanger
Verspätung
endlich 2004 Bildungsstandards in Deutschland eingeführt haben, hatte
sich MTH
bereits in den 1970er Jahren wie viele Länder der Welt einer
Kompetenzorientierung verschrieben, frei nach dem Motto: Wichtig ist
nicht nur,
was und wie etwas gemacht wird, sondern viel wichtiger ist, was die
Kinder
hinterher können. Dass dies bei den Bildungsbürokraten und Schulräten
auf
Widerstand stieß, war vorauszusehen. Dies lag vor allem auch daran,
dass sich
MTH bei seinem Unterricht an Kriterien orientierte, die sich erst 20
Jahre
später in der Schulpraxis in Anfängen etablieren sollten. Hervorzuheben
sind
dabei insbesondere die authentischen, situierten Lernumgebungen im
kognitivistisch-konstruktivistischen
Sinne, die den Kindern individuelle Lernerfahrungen ermöglichten und
somit
tatsächlich dem Kompetenzaufbau dienten und nicht nur dem
Erwerb von
trägem Wissen. Interessanterweise waren es gerade diese
authentischen
Lernumgebungen, die den Bildungsbürokraten sauer aufstießen; bestand
doch die
Gefahr, dass sich ein Kind erschrecken könnte, wenn es einen
lebendigen
Frosch in der Schule sieht anstelle eines harmlosen Froschbildes im
sterilen
Schulbuch.
Es
kann also mal wieder festgestellt werden, dass die Geschichte zeigen
wird, was
richtig und was weniger richtig ist. MTH wurde bereits in den 1980er
Jahren zu
immer mehr regionalen Lehrerfortbildungen eingeladen, um den damals
aufkommenden
Offenen Unterricht anhand von konkreten Praxisbeispielen zu
untermauern.
Schließlich setzte in den 1990er Jahren ein Run auf die kleine Schule
in
Backemoor ein und Bildungsforscher gaben sich die Klinke in die Hand.
Während
die ostfriesischen Schulräte und Kollegen immer noch nicht
erkannten, dass
sich Schule und Unterricht verändert hatten, präsentierte MTH seine
Implementation von authentischen Unterrichtsumgebungen, in denen
ein
situiertes und kontextbezogenes Lernen möglich wurde. Einladungen zu
Vorträgen
in Universitäten und auf Kongressen waren die Folge. MTH wurde
einbezogen in
die Ausarbeitung von Konzepten für modernen Schulunterricht und
schließlich
zum Berater der Kultusministerkonferenz ernannt. Das Max
Planck-Institut
für Bildungsforschung verlieh MTH die Ehrendoktorwürde. In der
Laudatio hieß
es, dass in der Backemoorer Grundschule durch MTH initiiert ein
kompetenzorientierter
Unterricht stattfindet, dem ein erweiterter Kompetenzbegriff
zugrunde liegt.
Es ging eben nicht mehr nur um Leistung im engeren Sinne, sondern auch
nicht-kognitive
Aspekte wie Interesse, Bereitschaft und soziale Fähigkeiten
wurden im
Sinne multikriterialer Bildungsziele von Schule angestrebt. Wie die
wissenschaftliche
Studie von Webbe Heinze 2001 anhand von Fallbeispielen zeigte,
wurden diese
Ziele durchaus erreicht und hatten Auswirkungen auf die
individuelle Kompetenz
des life long learning. Mit der Ehrendoktorwürde erhielt MTH auch
gleichzeitig
eine Gastprofessur für Lehr-Lern-Forschung an der Humboldt
Universität zu
Berlin.
Dies alles
führte natürlich dazu, dass
MTH immer seltener in Ostfriesland war. Zunächst machte ihm dies
kaum etwas
aus, da sowieso ständig Kollegen und Schulräte vorbeikamen und ihm
versicherten,
dass sie seine Bildungskonzepte angeblich schon immer gut fanden.
Nach und
nach aber zeigte sich, dass er sich kaum noch um die Schule kümmern
konnte und
maximal einen Tag die Woche dort war. Eigenen Unterricht hielt er
höchstens
noch in Form von Vorführstunden für ausländische Wissenschaftler, die
aus der
ganzen Welt anreisten. Aber dies war nicht wie früher, da durch die
Simultandolmetscher die Natürlichkeit des Unterrichts gestört wurde.
In seinem
Professorenbüro in Berlin waren leider keine Aquarien und Terrarien
erlaubt,
sodass er seine Vorlesungen über authentische Lernumgebungen nur
theoretisch
oder mit Fotomaterial halten konnte. Als er 2005 während seines
eingeladenen
Hauptvortrages auf dem Kongress der Gesellschaft für
Erziehungswissenschaften
mittels einer Tigerpython deutlich machen wollte, wie authentischer
Biologieunterricht aussieht, wäre es im vollbesetzten Audimax der
Universität
Frankfurt fast zu einer Massenpanik gekommen. Fortan verzichtete er auf
das Mitbringen
natürlicher Lerninhalte und verabreichte dem Publikum sterile
pädagogische
Kost. Mehr und mehr merkte er dabei aber, dass er sich verstellen
musste und
nur noch über Dinge sprach, anstatt diese durchzuführen. Spätestens als
die
niedersächsische Landesregierung die Backemoorer Grundschule in
einen
sterilen Neubau verlagerte und das alte Schulgebäude zu einem
niedersächsischen Kulturdenkmal erklärte, für dessen Besichtigung
Eintritt zu
zahlen war, wurde MTH deutlich, dass etwas schief gelaufen war. Doch
wie so oft
ließ sich das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen und man kann
nur
sagen: Man gut, dass es nicht so gekommen ist...
Michael Till Heinze
als gefeierter ostfriesischer
Fernsehjournalist
Nun, auch wenn die bildungswissenschaftliche Karriere durch die Schulrätin Geerdes mit der vorzeitigen Auflösung der Grundschule Backemoor 1976 zunichte gemacht wurde, so deutete sich Ende der 1980er der Durchbruch im dokumentarischen Journalismus an. Mehrere Serien zu lokalhistorischen Themengebieten wurden verfasst und im Fehntjer Kurier der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Mehr und mehr wurden daraus überregional wahrgenommene Beiträge in Zeitungen und auch wissenschaftlichen Zeitschriften. Die Konsequenz lag auf der Hand: Nach relativ kurzer Zeit wurde das NDR-Regionalfernsehen darauf aufmerksam und verpflichtete MTH in einem hochdotierten Vertrag zu mehreren Sendungen. MTH gelang es in seiner Tätigkeit, den ethnografischen Recherche-Ansatz weiterzuentwickeln, lokalhistorische Besonderheit zu abstrahieren und somit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Die Vorgaben
des Fernsehens schränkte
MTH aber zusehends ein. Da viele der Sendungen auch von der ARD ins
Abendprogramm übernommen wurden, gab es immer mehr so genannte föderale
Vorgaben, die natürlich seitens der süddeutschen Rundfunkanstalten
am schärfsten
formuliert wurden. Als der Bayerische Rundfunk schließlich forderte,
dass aus
der Reportage „Teehandel im Oberledingerland“ sämtliche Bezüge zu
Ostfriesland, Oberledingen und Tee zu streichen seien, damit auch das
Interesse
der niederbayerischen Kaffeetrinker geweckt werde, warf MTH alles
hin. Über
einen Rechtsanwalt wurde der ARD die wiederholte Ausstrahlung
sämtlicher
Sendungen verboten und alle Rechte gesichert. Zwar versuchten einzelne
Rundfunkanstalten
per Einstweiligen Verfügungen, MTH praktisch ein Berufsverbot
aufzuerlegen,
doch kamen sie damit nicht durch. Höchstrichterlich wurde die
Sittenwidrigkeit
der ARD-Handlung bestätigt und MTH noch eine Entschädigung in Höhe von
1
Million DM wegen Rufschädigung zugesprochen.
So kam es,
dass MTH im Jahr 2001
seinen eigenen Fernsehsender „Ostfriesland TV“ und seine eigene
Produktionsfirma gründete. Der Erfolg war vorprogrammiert. Schnell
sprangen ZDF
und Arte auf den Zug auf und schalteten sich samstagabends
Ostfriesland TV
zu, sodass die Reportagen bundes- und europaweit ausgestrahlt wurden.
MTH
adaptierte den kulturhistorischen und ethnografischen Ansatz seiner
schriftjournalistischen
Zeit für den Fernsehjournalismus und produzierte herausragende
Reportagen,
die zeitweise sogar im Kino vorgeführt wurden. Hervorzuheben wäre
etwa der Dokumentationsfilm
„’Een Köpke Tee un een Stück Stuten, dann mut wi weer stuken’ – Besök
bi d’Törfwiefkes“.
Er spielte in wenigen Wochen bundesweit Millionen ein und ließ als
erfolgreichster Film des Jahres 2004 anspruchslose Hollywoodfilme
alt aussehen.
Produktionen von Ostfriesland TV wurden immer wieder
ausgezeichnet, so
gab es neben Film- und Kulturpreisen im Jahre 2004 auch den
renommierten Grimme-Preis.
Den größten Erfolg verzeichnete MTH 2005, als für den Beitrag „Borsten,
Blut
und Bolzenschuss – Hausschlachterlehrlinge im südlichen Ostfriesland“
auf dem
internationalen Filmfestival in Cannes die Goldene Palme in der
Kategorie Ethnofilm verliehen wurde.
Bei so viel Erfolg bleiben
natürlich Neider nicht aus. Die Ostfriesische Landschaft
ignorierte den
Erfolg MTHs vollständig und reagierte erst, als ihr ein Großteil der
Gelder für
die Kulturarbeit gestrichen wurde. Als die Landschaftsvorstände
mitbekamen,
dass die bei ihnen gekürzten Finanzmittel in die Heinzesche Stiftung
„Ostfriesische
Heimatgeschichte“ fließen sollten, starteten sie eine
Gegenkampagne. Sie
nahmen Kontakt mit der ARD auf und begannen ein Gegenprogramm.
Dieses lief
im Wesentlichen darauf hinaus, leicht verdauliche
Edutainment-Sendungen
und Dokusoaps zu produzieren, die verschiedene Zielgruppen bedienen
sollten.
Titel wie „In einer Sommernacht mit Torfmädchen durchs Moor“ bzw.
„Zarte rosa Haut
– Träume ostfriesischer Hausschlachterlehrlinge“ deuten klar
darauf hin,
dass die Inhalte nichts mehr gemeinsam mit den ursprünglichen Themen
hatten.
Im Endeffekt wurden nur Reportagen von Ostfriesland TV abgekupfert
und
schlüpfrig verpackt. Betriebsspionage führte dazu, dass der
Landschaftssender
Beiträge auf die oben beschriebene Art ausstrahlen konnte, bevor
MTHs
Originalreportagen gesendet wurden. Zähe juristische
Auseinandersetzungen
folgten, wobei für jeden Beitrag neue Verfahren anberaumt werden
mussten.
Ende 2006 liefen mehr als 40 solcher Verfahren und MTH hatte kaum mehr
Zeit,
neben den Terminen in Gerichtssälen journalistisch tätig zu werden.
Stattdessen
griff das Privatfernsehen die Streitereien begierig auf. MTHs Freude
an der
Angelegenheit war verloren und die regionale Geschichte wurde in den
Dreck
gezogen und lächerlich gemacht. Man kann mal wieder nur sagen: Man
gut, dass
es nicht so gekommen ist…
Zu guter Letzt …
In jeder Biografie gibt es charakteristische
Weichenstellungen,
so hieß es in der Einleitung. Betrachtet man die Weichen in MTHs
bisheriger Biografie, so kann man abschließend nur festhalten, dass
glücklicherweise jeweils die richtige Bahn eingeschlagen wurde.
MTH musste nicht die DDR ertragen, er wurde nicht durch die
Pharmaindustrie ausgenutzt, ihm wurde nicht durch zu großen Ruhm
als Literaturnobelpreisträger oder gefeierter Bildungsforscher
die Möglichkeit des selbstbestimmten Arbeitens genommen
und er musste sich nicht als international berühmter
Heimatforscher
mit ostfriesischen Provinzneidern vor Gericht streiten.
Nun kann man sagen, dass dies jeweils
glückliche und
zufällige
Fügung gewesen sei. Dies mag für das eine oder andere stimmen,
doch wer MTH kennt, weiß, dass er häufig selbst rechtzeitig
die Notbremse zieht und den Ausstieg wählt, wenn es ihm
zu nervig wird und er sich selbst verstellen muss.
So gesehen kann seine Familie
zu den vergangenen 70 Jahren nur sagen:
Man gut, dass es so gekommen ist!