|
Der Stammbaum (von einem unbekannten Verfasser)
Herr Kreitlein ging, vor Jahren schon, mit fünfundsechzig in Pension Aus Langeweile sah er drum sich bald nach einem Hobby um.
Hierbei geriet er irgendwie an seine Ahnengalerie. Das war wirklich Interessantes, was völlig Neues, Unbekanntes Und er beschloß sogleich, deswegen sich einen Stammbaum zuzulegen.
Er stöberte in Stadtarchiven, in Chroniken, in alten Briefen, nahm sich bei manchem Dorfpastor die dicken Kirchenbücher vor, und drang bei der Gelegenheit weit, weit in die Vergangenheit.
Er fand: zwei Schneider, einen Wirt, vier Bauern, einen Schweinehirt, je einen Küster, einen Schieferdecker, dann einen fürstlichen Lakai, ein Postillion war auch dabei, ein Vorfahr war sogar Minister, zwei and're lebten als Magister. Dann gab es ein paar Grenadiere, zwei Musikanten, zwei Barbiere, drei Metzger, und, im blinden Eifer, fand er noch einen Scherenschleifer.
Es war ein Baum mit vielen Zweigen, von Nebentrieben ganz zu schweigen. Herr Kteitlein brauchte viel Papier, viel Tinte und Geduld dafür.
Er kam bis fünfzehnhundertneun, doch dann schien es vorbei zu sein, denn hier versiegten alle Quellen, es war kein Ahn mehr festzustellen. Darauf stieg Herr Kreitlein in den Zug, der ihn ins ferne Hamburg trug zu Dr. Dr. Dusterwald, der als ein Fachexperte galt.
Er bat ihn in bewegten Worten, des Stammbaum Wurzeln zu orten, beziehungsweise jenen Mann, mit dem die Reihe einst begann.
Der Doktor lächelte jovial: "Verehrter, nun, dann geh'n Sie mal in unseren weltbekannten Zoo, gleich vornean, Abteilung zwo!"
Herr Kreitlein fand dies sonderbar! Doch weil er schon in Hamburg war, begab er sich am gleichen Tag zu Hagenbeck. Ihn traf der Schlag!
Da saß in seiner Käfig-Villa ein Affe, nämlich ein Gorilla. Er blickte traurig und verwundert in unser zwanzigstes Jahrhundert, fing Läuse und verschlang Bananen.
Herr Kreitlein forschte nie mehr Ahnen.
|