Die Bademutter von Herberhausen

 Von Rainer Schobeß (aus der Zeitschrift “Niedersachsen” Nr.3, Hannover, März 2000, S. 48)

   Herberhausen, den 4. September 1827. Maria  Catharina Grotheyn muß heute vor dem Vogteigericht des kleinen Dörfchens in der Nähe von Göttingen erscheinen. Die junge Frau hat sich nämlich um das Amt einer Hebamme für Herberhausen und Roringen beworben. Doch bevor sie hier als Geburtshelferin arbeiten kann, muss die Grotheyn einen feierlichen Eid leisten:

   Ihr sollet geloben und einen Eid schwehren zu Gott und auf sein heiliges Wort. Nachdem euch das Bademutter-Amt angetragen worden, daß ihr demselben nach eu-rem besten Wissen und Gewissen vorstehen, und wenn ihr zu denen Weibern, so der Geburt nahe oder sogar in Kindesnöten sind, es sei bei Tage oder Nacht um welche Stunde es wolle, gefordert werdet, euch ohnverzüglich einfinden und von solchen Weibern nicht eher bis sie geboren gehen, dieselben in der Not bescheiden in Worten und Werken begegnen, euch starken Getränkes bei  Verrichtung eures Amtes enthalten, auf der Mutter und des Kindes Gesundheit gute Acht haben, allen möglichen Fleiß und Treue anwenden und keine Frau mutwilliger Weise versäumen und verwahrlosen, insonderheit dahin sehen, daß die Nachgeburt gänzlich von der Gebärerin gebracht werde und nichts zurückbleibe.

   Seitdem ausgehenden Mittelalter nahm die Obrigkeitin Deutschland Ein-fluß auf die praktische  Geburtshilfe, die zuvor allein Sache kundiger Frauen gewesen war. Hebammen waren meist Witwen, die bereits mehrere eigene Kinder zur Welt gebracht hatten. Der Bademutter-Eid verlangte ihnen die Residenzpflicht ab, sie mußten also ständig erreichbar sein für die Schwangeren. Wichtig zu einer Zeit, als die medizinische Versorgung vor allem in den ländlichen Gebieten noch nicht so gut war wie heute.

   Und was mittlerweile in der Geburtshilfe unter so schönen Begriffen wie Psychoprophylaxe und Entspannungstherapie bekannt ist, mußten Hebammen auch früher verstehen, ihr Eid legte fest, sie sollten der Gebärenden "bescheiden in Worten und Werken begegnen". Weiter bestimmt die Schwurformel, daß die Bademutter bei komplizierten Fällen einen studierten Arzt zuhilfe ziehen mußte. Seit der frühen Neuzeit waren auch Männer  in der Geburtshilfe tätig, im nahen Göttingen war nach der Universitätsgründung im 18. Jahrhundert eine Frauenklinik eingerichtet worden, an der auch Hebammen ausgebildet wurden. Schließlich waren Bademütter Helferinnen von Kirche und Obrigkeit. Sie mußten sich verpflichten, daß sie falls eine unnatürliche Geburt hervorkäme, ein solches der Gebärerin nicht anzeigen, hiernächst die Nottaufe anders nicht, als ihr vom Prediger  Unterweisung erhalten werdet, verrichten, und da ein uneheliches Kind geboren würde, der Mutter, daß sie desselben Vater nenne, mit Ernst zureden, sie ermahnen, dieses aber sodann dem Gerichte anmelden.

    Entlohnt wurde die Bademutter Maria Catharina Grotheyn aus der Herberhäuser Gemeindekasse. Deshalb konnten auch mittellose Wöchnerinnen ihre Hilfe und Pflege in Anspruch nehmen.

"Der katholische Glaube hat keine gefährlicheren Feinde als die Hebammen."

Aus: Der Hexenhammer (Lehrbuch für Inquisitoren von 1648)

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Marie-Louise Bourgeois

(Stich von 1813)

* 1563 in Paris;  † 1636 in Paris

Hebamme in den Armenvierteln von Paris

 Verfasserin eines bahnbrechenden Hebammenbuches

   Im 15. Jahrhundert führten immer mehr Städte Hebammenordnungen ein. Darin wurde die Ausbildung der Hebammen, die Examen und der vor dem Stadtarzt zu leistende Eid beschrieben.   Die neuen Bestimmungen waren für die Hebammen von großer Wichtigkeit, da sie immer stärker in den Verruf von  "Hexen und Zauberinnen" gekommen waren. Das Interesse des neuentstehenden Ärztestandes ging ebenfalls dahin, die weiblichen Heilkundigen in den Bereich der Scharlatane abzudrängen.

   Im  17. Jahrhundert traten drei mutige Hebammen hervor, die sich in Buchform zur Geburtsheilkunde äußerten. In England veröffentlichte 1671 die Hebamme Jane Sharp ein grundlegendes Buch über die Geburtshilfe, in Deutschland publizierte 1690 Justine Dittrich Siegemundin von Brandenburg, die " Churfürstlich-Brandenburgische Hoff-Wehemutter", ihr Werk, illustriert mit vierzig Bildtafeln, das sich besonders mit Steißgeburten beschäftigte; und als die mutigste Hebamme darf die Französin Marie-Louise Bourgeois gelten, die schon 1608 ein vielbeachtetes, unentbehrliches, ja sogar bahnbrechendes Hebammenbuch herausgab. Alle drei Hebammen wiesen eindringlichst auf eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse bei Geburten hin.

   Das Hebammenbuch der Französin erschien 1626 in deutscher Übersetzung, illustriert mit Kupferstichen und gedruckt von Matthäus Merian dem Älteren, dem Vater von Maria Sibylle Merian, in Frankfurt am Main. Als ihr nach jahrzehntelanger Tätigkeit eine junge Mutter an dem damals noch nicht erkannten Kindbettfieber starb, sahen ihre Arztkollegen endlich eine Gelegenheit, Marie-Louise Bourgeois anzugreifen.  Doch da war sie schon in einer Position, in der sie in mehreren Schriften alle Unterstellungen energisch zurückweisen konnte. Sie besaß Schreiben vieler Ärzte Europas, die ihr bestätigten, daß sie großen Nutzen aus  ihren Büchern zogen. Doch mit diesen auf jahrzehntelanger Berufserfahrung basierenden Abhandlungen gaben die Hebammen zugleich viel preis. Es entstanden Bücher von Ärzten, die nie bei einer Geburt dabei waren, sich in der Geburtshilfe jedoch groß aufspielten und die "unwissenden Hebammen" aufklären wollten.

   Den Wunsch, Hebamme zu werden, hatte Marie-Louise als Tochter aus einem vornehmen Pariser Haus ursprünglich sicher nicht. Im Alter von 20 Jahren wurde sie die Ehefrau des königlichen Armeechirurgen Martin Boursier, einem Schüler des berühmten Wundarztes Ambroise Pare am Pariser Armenkrankenhaus Hôtel Dieu,  der 1551 und 1573 zwei Abhandlungen über die Geburtshilfe verfaßt hatte. Vier Jahre später war sie schon Witwe mit drei Kleinkindern, die sich mühsam mit dem Verkauf von Stickereiwaren über Wasser zu halten versuchte.  Schließlich beschloß sie, wohl unter dem Einfluß von Pare, sich zur Hebamme ausbilden zu lassen. Ihre Berufspraxis holte sie sich in den Armenvierteln von Paris, dann betreute sie die Gebärenden des Großbürgertums. Bereits 1609 hatte sie in ihrem Hebammenbuch 2000 von ihr geleitete Entbindungen vermerkt.

   Schließlich galt Marie-Louise Bourgeois als derartige Kapazität, daß Maria von Medici sie an ihren Hof holte. Sie entband die Königin von sieben Kindern. Für einen Prinzen bekam die Hebamme eine Prämie von 1000 Dukaten, für eine Prinzessin lediglich 600. Anläßlich der Geburt des Thronfolgers Ludwig, des späteren Ludwig XIII., wurde ein Kupferstich angefertigt, auf dem nicht die Königin, sondern die Hebamme Bourgeois den zentralen Platz einnimmt. Sie zeigt das neugeborene Kind seinem Vater König Heinrich IV. und weiteren Vertretern des Hofes. Die Hebamme war längst eine mit besonderen Ehren ausgestattete Vertraute der Königin geworden. Insgesamt waren nicht weniger als vierzehn Personen im Geburtszimmer anwesend.

Der neugeborene Thronfolger, der spätere Ludwig Xlll., wird von M. L. Bourgeois, dem König Heinrich IV. und den Vertretern seines Hofs präsentiert.

 Marie-Louise Bourgeois löste mit ihrem Hebammenbuch das von der ersten Ärztin, Trotula von Salerno, im 12. Jahrhundert  verfaßte geburtshilfliche, 83 Kapitel umfassende Lehrbuch ab. Sie schrieb auch ihre Lebens- erinnerungen auf: "Récit véritable de la naissance des Enfants de France" (Wahre Erzählungen über die Geburt der  Kinder Frankreichs) (1625), vorher erschien schon das Buch "Observations diverses sur la stérilité" (Betrachtungen zur Unfruchtbarkeit), ein dreibändiges Werk, das 1626 neu aufgelegt wurde und das für lange Zeit als unersetzliches Handbuch galt. (Aus: Martha Schad, Frauen, die die Welt bewegten.Augsburg 1998, S. 32f.)

hebamme

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