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Kreuz – Schwan - Hahn

(aus: GA v. 1.4.1989)

   Christian Schulz aus Königsbach-Stein l sind anläßlich seines Urlaubsaufenthaltes an verschiedenen Orten des Overledingerlandes die vergoldeten Schwäne auf den evangelischen Kirchtürmen  aufgefallen. Er konnte dazu in mehreren Gesprächen nichts  erfahren, rief dann die Redaktion vom "General-Anzeiger" an und erhielt entsprechende  Auskunft. Da er annimmt - und wir stimmen dem zu - daß viele um diese Besonderheit nichts Genaues wissen, geben wir gern eine Darstellung weiter, die der Landessuperintendent der ev.-ref. Kirche in Leer, Walter Herrenbruck, schrieb.

   Der vergoldete Schwan auf Kirchtürmen oder Kirchen ist eine norddeutsche Besonderheit. Es hat damit folgende Bewandtnis: Bei dem Konzil von Konstanz Anfang des 15.  Jahrhunderts wurde der tschechische Reformator Jan Hus verurteilt und unter Bruch der von Kaiser Sigis-mund gegebenen Zusicherung freien Geleits als Ketzer verbrannt. Auf dem Scheiterhaufen soll er - nach einer späteren  Legende - gesagt haben: "Ich bin nur eine arme Gans (tschechisch: Hus); aber nach mir wird ein Schwan kommen, den werdet ihr nicht rösten können."

   Dieser angebliche und, wie gesagt,  legendarische Ausspruch des Jan Hus ist sehr viel später auf Martin Luther bezo- gen worden. In dem Sinne, er sei der von Hus prophezeite Schwan, den die Kirche nicht mehr werde unterdrücken können. In Aufnahme dieser  Legende findet man in Norddeutschland einen Schwan auf den Kirchtürmen. Selbstver- ständlich nur auf evangelisch-lutherischen Kirchtürmen!

   In diesem Zusammenhang noch ein weiterer Hinweis: Die Turmbekrönung gestaltet in der Regel einen Ruckschluß auf die Konfession, zu der dieses Kirchengebäude gehört. In Norddeutschland ist es so: katholische Kirchen führen das Kreuz; ebenso auch Kirchen der freikirchlichen Gemeinden, z. B. Baptisten oder Methodisten; evangelisch- lutherische Kirchen führen den Schwan; und wenn man eine Kirche mit einem Hahn findet, dann gehört sie zur evan- gelisch-reformierten Kirche. Die ev.-ref. Kirche ist bekanntlich von der Schweizer Reformation Zwinglis und Calvins geprägt. Von der Schweiz aus hat sie sich, über Frankreich und die Niederlande, in (Westdeutschland ausgebreitet. Der Wetterhahn erinnert an diesen Weg (der "Gallische Hahn"). Vermutlich waren aber viele jetzt evangelisch-refor- mierte Kirchen schon im Mittelalter mit einem Hahn bekrönt; das war das Zeichen des Papstes (Hahn von St. Peter). Man hat den Hahn dann als "Wetterhahn” auch auf reformierten Kirchen geduldet und später seine ursprüngliche Bedeutung wohl schlicht vergessen.

   Mit dem Verweischarakter des Hahns auf Petrus und damit den Papst hängt es zusammen, daß man, wenn man außerhalb Norddeutschlands einen Kirchturm mit einem Hahn bekrönt sieht, in der Regel davon ausgehen kann. daß es sich eine katholische Kirche handelt, während das Kreuz meist auf eine evangelische Kirche schließen läßt. So kompliziert ist das Kirchenwesen: in Norddeutschland ist der Hahn evangelisch-reformiert; im Rest der Welt eher katholisch. Das Kreuz hingegen bezeichnet meist eine  evangelische Kirche, in Norddeutschland jedoch eine katho- lische. Und der Schwan ist ganz eindeutig evangelisch-lutherisch.

   Übrigens findet man in alten Handels- und Seefahrerorten oftmals  eine Kogge als Turmbekrönung. Und wenn ein Turm (nie: eine Kirche) ein Pferd trägt, dann hat der Turm ursprunglich nicht der Kirchengemeinde,  sondern dem Staat gehört ("Niedersachsenroß"). Und ganz  vereinzelt findet man bei uns auf den Türmen sogar noch ein "See- wiefke", also eine Nixe. Das ist ein ganz altes heidnisches Symbol - da sieht man, wie schwer es der christliche Glaube bis heute hin hat. sich durchzusetzen. Sogar auf Kirchtürmen - wieviel mehr erst in den Herzen!

Das Pfarrhaus zu Rhaude

Rein äußerlich hebt es sich mit  seinen weißen Fensterrahmen, der irgendwie "vornehm" wirkenden Türpartie und der Schiefereindeckung von den behäbigen Bauernhäusem der Umgebung ab, und ebenso wie die ehrwürdige Kirche zieht auch das im altostfriesischen Stil erbaute Rhauder Pfarrhaus die Blicke der Vorbeifahrenden auf sich. Aber der Eindruck täuscht: Der bauliche Zustand des Hauses, an dessen Giebelwand eine Bronzetafel daran erinnert, daß hier der große Arzt und Helfer Johann Christian Reil geboren wurde, läßt alle Wünsche offen.

Vor 25 Jahren  (GA v. 7.2.2000)

 

Aurich, StA Rep 135, Nr. 253:

"Prozeß vers(us) die Kirche Raude

von der Wittwe des Lehrers Schatteborg

vermachtes Legat

 hier: Untersuchung gegen P(astor) Magister Johann Lucas, 1698 ff”

S.  4: gegen Haye Foldrich, Hermann Johansen und Apke Lübben, 1698-1710

S. 32 ff: Soldaten haben den Pastorengarten umgegraben

S. 36:

S. 43:

S. 49: Zeugenvernehmung

S. 93: (s. Kopie)

 S. 96: Unterschriften und Hausmarken !!!!!!!!!!!!!!!

S.100: Zusammenfassung

S.104: Lucas' Gegendarstellung

S.110: (s. Kopie)

S.117: (s. Kopie)

 S.118: Lucas' Ausgabenliste (er/sie wollte das Geld zurückhaben)

        

1886   Specification derer außgaben so ich

        der Pastorey zum besten angewendet:

       Mitten durch den garten weil er gar

        zu wüstenicht wahr, einen graben

       ........... lasssen, daß der garten mit

        der erden konnte ......

1687

1688 an Wille Johanssen

     an berent uffen (auch 1892

      Hinrich Hayen Hagen

1892 Gerd Johanssen

     Remmer g.....?

bis

1698

 S.122 ff: Untersuchung gegen der Pastor Klinkhammer, 1705 ??????

S.125 (kopiert)

S.129: nur Umschlag

S.130: Problem Schlaguhr (genauer Text ?)

 S.131: kleinformatige Spendenliste (mit Rötel geschrieben)

S.137: Rötelliste (Beweis Num. V)

S.138: Text:

-------------------------

S.139: (ehem Rep 136, X, 6)

Untersuchung gegen den P. Klinkhammer zu Raude, 1699 - 1709

-------------------------------

S.141: und die Kirchenvögte Habbe Haye und Coppe Uden, beide Holte

        wie auch

       Roleff Lammers

       Wiebet Focken

        Aleff Behrens   und       (x)

       Focke Eyken

                   wegen einer Schlaguhr, 1709

      (alle diese Namen ohne Ort; (x) = mußte nicht mit nach Stickhausen)

-------------------------------------

S.142:

Wir untengemeldete Kirch-Vögde

 bescheinigen hirmit, wie wir mit unsern

Prediger in der heftigen Kälte aus gut-

heißen der Gemeine sind herum gegangen

wegen des Uhr Werks. Wir ihr? einhilligen??

 Zusage solches auß wißet. Wir sind auch

nachher (nach) liehr (Leer) gegangen aufs gutheißen der

Gemeine daß Uhr Werck zu kauffen.

(eigenhändige Unterschriften von)

 Heibbe Haienß    (Habbe Haye ?)

pope Uden

Wilke Dirkeß

-------------------------------------------

 S.143:         Kaufbrief vom 14.Dezember 1700

 

 Auf heute unter ............   .......... haben die

heiligen Männer poppe Uden und Wilcke Dircks

mit Meister Herman Wessels wegen des Uhr=

Werk anodiret folgender maßen:

 

Meister Herman Wessel verspricht ? der

Gemeine zu Raude und Holte, deß Uhr Werk

 zu liefern sammt Gestiften, Strichen, Zeigern

mit weingern ? alles waß zu dem Werk

erfordert wird /: auß genommene die Kaste :/

Er verspricht auch Wenn daß Werk nicht

 soll gut sein innerhalb drey jahren

nach belieben der Gemeine zu disponiren

und wieder Zu sich Zu nehmen, und daß

drauff empfangene Geld wieder zu bezahlen

 an die Gemeine oder zu repariren Wie

es der Gemeine mag gefællig sein:

Hierfür verstehen beyde Heil.Manner im

nahmen der Gemeine Meister Herman

 Wessel zu geben 95 hlgl div. samt

und rintig?? schlichte ostfriesische Thaler.

hierrauß soll die Bezahlung erfolgen, so bald

als die Lieferung geschiht alß 100 gülden

 die übrige 42 gülden 5 / sage zwei und vierzig

gulden und sampt ........   .........  ....... wann daß

S.144 ?????

werk gut ist und die maquement

 schön erfunden, richtig beziffert werden soll

Zu nehrerer Versicherung attestiren beyderseits

Contrahenten mit ihrer eigenhändigen Unterschrift wie

auch zeugen

(sign.)

Hermann Wessels als Küßter

poppe Uden als Küßter

Dirck Wilcken als Küßter

Habbe Hayen

Wille Jansen

Harmen Tammen

 (Die Turm-Uhr-Akte von 1699 wird ausgewertet. Die Geldspender sind aber schwer zu identifizieren!)

 

Rauder Versprechen (ca 1700)

(Das "Rhauder Versprechen" von ca 1700)

Es sind 34 Spender = Haushalte ??

(wenn die Häuser beidseitig bewohnt waren, sind es 17 Häuser, einschließlich des Pastorenhaushaltes)

guld. st.  gg.

Gerd Albers         1/3/10

Kohne                  1/5/-

 Albert Kohne       -/3/-

Abke                    -/3/-    (wer ist das?)

Cassien                -/6/-    (wer ist das?)

 Anke Reincke      -/3/-

Gerd Dedden       -/3/-

Folckers Dirck    2/3/-

 Aucke Evers       -/3/10

Evers                  1/-/-

 Foldrich Hayn     2/7/-

Hawe Hayen       1/-/-

Teilcke Hayn      -/3/-

 Johan Hemken    1/8/-

Eike Harmans     -/9/-

Eilard Harmans  1/8/-

Dirck Hinrichs   -/3/10

 Lücke Hinrichs   -/3/-

Wobke Hinrichs -/6/-

Gesche Janßen   1/6/-

Hinrich Janßon   1/-/-

johan schneyder  -/1/-

Wille janßon       2/7/-

der Pastor          2/7/-

 Lampe               -/1/10

Hilcke Peters     -/5/-

 Peter                 -/3/10

Gerd Tammen   1/3/10 /

Tamme und Claßken -/6/-

 Abels Teilcke    -/6/-

Memme Tonjes 2/3/-

Johan Willen     1/3/10

 Talcke               -/3/-

 Hille                  -/3/-

S.145

Cassien             -/6/-

johan schneyder -/1/-

                                            34 Geldspender

      

Hier folgen noch die Familien zu den einzelnen Namen!

S.145 unten

Holter Versprechen

 frauß Behrens                  -/10/-     ???      cf Rötel ! (= Franß ?)

 Tobe Focken                                 1/3/15

Lucas Janson vor welche Hische    1/3/15

 Meist: Dirck Wilcken                     2/7/-

 johan brun                                     -/5/-

 Ahrend Rolff                                  1/3/15

 Focke Hayen                                 2/7/-

 johan Focken                                 -/3/-

Ulbeth Ahrens                                -/6/-

 Engel                                             -/6/-

Hinrich Poppen         -/10/-          ????

 johan Behrens                                -/5/-

 jurgen                                            -/5/-            nicht jurjen ????

 Eyjelt                                             -/6/-

Herman Hinrich                             -/3/-

 Claß Eilars                                     -/3/-

Meist: johan jansen                         2/7/-

 johan gerdes                                   -/6/-

 johan Dirck                                    -/10/-

 Everd                                             -/3/-

 Haye Hinrichs                                 -/5/-

Behrend oncken                             -/3/-

 Hinrich Behrens                              -/5/-

S.145 b

Franke Wubben                             -/9/-

 Alff behrens                                   -/7/10

 Focke Eyken                                  -/5/-

Wilcke Dircks                                -/6/-

Rolff Lammers                               -/6/-

Johan Wilcken                                -/5/-

Johan Ebben mit ein Willigung seiner Schwiegermutter Elsche

Kramers Wittwe Bungers               -/3/-

 Gerd Gerdes                                  -/9/-

 Eibe Frercks                                   -/6/-

Gerd Remmers                               -/5/-

behrend hinrichs                             -/3/-

 Focke Hinrichs                               -/6/-

 Herman Wilcken                            -/6/-

 Albert Tonjes                                 -/5/-

 johan Willems                                 -/3/-

Garrelt Remmers                            -/6/-

 Upke janson                                   -/7/-     (lepke ?)

Weyert Garrels samt seinen Sohnen Wilcke und Weiyert   1/8/-

 hinrich janßon                                 -/6/-

 johan Claßen                                  -/5/-

Louwert nannen                              -/3/-

 Lotet Eicken                            1/5/-       (Laut/Lauert/Lowert ?)

Eyelt Tammen                                -/3/-

Uke Harmans                                1/8/-

Hawe Harmans                              -/9/-

 Hinrich Lücken                              -/3/-

 Wilcke Uhlrichs                             -/6/-

 Wilke Muhrings                              -/6/-

 Coop Hayen                                  -/10/-       ?????????

Hinrich Meincken tochter Dorothea  -/5/-

 Gerd Lücken                                  -/3/-

Meist: Philippus                              -/3/-

 Wilm janson                                   -/5/-

 Eilard Dircks                                  -/6/-

 Tebbe                                           1/3/-

 Wilm janson                                   -/6/-

Gerdken behrens und Hinrich behrens /zus. -/6/-

 jasper behrens                                -/3/-

 Herman Wessels                            4/10/-            ??????????

 johan Eilars                                    -/3/-

Meist: Lucken                                4/10/-

Herman Tammen töchter                -/6/-

 Gerd Harmans                                -/3/-

67 Spender

NB weilen daß blot Zu engen konnen, die

 w   w   nicht Anold  (leider ganz unten auf der Seite und schlecht kopiert)

 

Dieser geplante Kauf einer Turmuhr für den einzeln stehenden Kirchturm in Rhaude mit Spendenliste und auftragsvergabe ist wegen seines Alters von immenser Bedeutung für die Familienforschung. Ich hoffe, daß ich endlich die Zeit finde, mich dieser Akte ausfürhrlich zu widmen.

Andere Kirchtum-Uhren:

Die Verbindung zur Dachreiter-Glocke

Eine Uhr - ein Symbol. "Vielleicht hilft uns die Uhr dabei, den Wert unserer Zeit zu erkennen - und wir erleben sie dann bewußter", hofft Pastorin Heike Schmid.

Ein jegliches hat seine Zeit

 Vorwärts in die Vergangenheit - oder warum die Kirchenuhr in Visquard anders geht. Ein Bericht von Silke Arends-Vernholz und Martin Stromann (Fotos) (Oma Nr. 6/2002, S. 9ff)

 Sein Antlitz ist aschfahl. Seine beste Zeit hatte der Engel 1598 und die Jahre danach. Seine Wangen waren prall, seine  Locken üppig, sein Blick klar. Er behält es für sich, ob die 400 Jahre wie im Flug vergingen, himmlisch oder öde waren. Zeit darf man. nicht nehmen, Gott gibt sie umsonst - das haben er und die anderen Himmelsboten schon in der ersten Klasse gelernt.

   Anders ist das auf der Erde. Und in Visquard. Dort lernen schon die Vorschulkinder, was es mit der  Zeit auf sich hat. Wenn die Glocken der reformierten Kirche abends um sechs läuten, kommt "Sesamstraße". Schweigt das Geläut, werfen die Mädchen und Jungen aus dem Dorf gelegentlich einen Blick auf ihre pop-pigen Zeitmesser mit rhythmisch blinkender Ziffern-Anzeige, um das Abendbrot nicht zu verpassen. Kaum einer von ihnen guckt zur Uhr über dem Kirchenportal. Und keiner sieht den Sandstein-Engel mit den matten Lidern,  der unermüdlich über den Zeigern thront.

   Das soll nun anders werden. Ein jegliches hat seine Zeit... - und die ist nun gekommen. ... und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde {Prediger Salomo, 3,1) - und nun schlägt die der Renaissance-Uhr: sie wird restauriert. Visquards Kirchenuhr ist ein verkanntes Schmuckstück, eine Attraktion im Landstrich Krummhörn und darüber hinaus in Weser-Ems. Die Leute im Dorf wußten davon bislang nichts und die Leute von der Denkmalpflege wenig.

   Die Zeit ist ein guter Arzt, aber ein schlechter Kosmetiker. Das erfährt jeder. Auch Jan Stroman. Er lebt zwar seit langem in Stuttgart, aber die Kirchenuhr seines Heimatdorfes Visquard hat er stets im Ohr und Auge. Ihr Verfall macht ihm Sorgen. "Herr Stroman ist der Mahner. Für ihn ist die Uhr wohl immer ein Symbol für seine Lebenszeit", meint Visquards Pastorin Heike Schmid. Sie hört hin. Auch als der Frauenkreis drängt - dessen Mitglieder sammelten schon 1999 für die Uhren-Rettung.

   Dann geht alles zügig: Heike Schmid kontaktet im Frühjahr 2001 zunächst den Architekten der Reformierten  Landeskirche in Leer und auf sein Anraten die Sandstein-Firma  Ochsenfarth aus Paderborn. Nach einer Ortsbesichtigung im Mai gibt Ochsenfarth ein Angebot ab. Die Restaurierung wird wenigstens 10 000 Mark kosten -  inklusive Zeiger-Vergoldung. In der Kirchengemeinde startet im Sommer die Aktion "Unsere Uhr braucht Freunde". Die Rechnung geht bald auf. "Allein das Ortskirchgeld fiel dreimal so hoch aus wie sonst", strahlt Heike Schmid.

   Das Gutachten vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege liegt im Oktober vor - die Uhr kann restauriert werden. Doch der Herbst ist über Wochen naß -  triefend wie die Felder rund um Visquard. Unter diesen feuchten Umständen kann kein Restaurator arbeiten. Nun ist Geduld gefragt. Kommt Zeit, kommt Rat. Und bald stellt sich heraus, daß guter Rat nicht immer nur teuer sein muß - er kann auch neue Dimensionen eröffnen.

   Am 12. März bekommt Heike Schmid Besuch: Bezirkskonservator Hermann Schiefer von der Bezirksregierung Weser-Ems und der Uhrenexperte  Hans-Henning Pötter. Sie sind gerade in der Gegend. Die zwei größten Tyrannen der Erde sind der Zufall und die Zeit. In der Tat, wäre der vergangene Oktober golden gewesen, wären die beiden Männer vom Fach zu spät nach Visquard gekommen. Doch bewahrheitet sich einmal mehr die These: Zu spät kommt man immer rechtzeitig. Die Experten begutachten die Uhr und sind sich unverzüglich einig: sie ist eine Perle aus Sandstein, aber  die Zeiger passen nicht. Pötters glaubt sogar, sie sind Relikte aus den 1950er-Jahren. Er erläutert der baß erstaunten Pastorin, da nur ein einzelner Stundenzeiger zu dieser Renaissance-Uhr gehört. Und Schiefer sichert Heike Schmid prompt Unterstützung von der Bezirksregierung zu, wenn man sich in Visquard für dieses historische Novum entscheiden könnte. "Ich konnte das gar nicht glauben. Eigentlich wäre die Uhr zu diesem  Zeitpunkt ja auch schon fertig gewesen." Heike Schmid ruft den Kirchmeister an.

   Arno Triebner kümmert sich seit vier Jahren um das Uhrwerk. Er kommt, läßt sich die kunsthistorische  Bedeutung der Uhr von Schiefer und Pötter erklären - und ist ebenso konsterniert. Mit nur einem Balkenzeiger wäre die Uhrzeit am Kirchportal in Visquard fortan nur noch auf die Viertelstunde genau ablesbar!

   O, Zeiten! O, Sitten! (O tempera! O mores!). Was die Leute im Dorf bloß dazu sagen? Vielleicht: "Weer so'n Tick van de Lü van't Denkmal"? Oder: "Wat verrückt! Nu köst de Uhr all so völ Geld und nu kricht de blot een Zeiger..." Und überhaupt: Ist der Gipfel der Absurdität nicht erst kürzlich erklommen worden? Neulich, als das Visquarder Theater-Haus saniert und mit "holten Dackgöten" versehen worden ist. Und nun noch die Sache mit dem Einfach-Zeiger. Na dann, dann man vorwärts in die Vergangenheit - vom digitalen Zeitalter direkt ins 16. Jahrhundert. Wo die Leute vom Land dem Zeitgeist doch sowieso immer hinterher muhen. Gute Nacht, Visquard!

   Heike Schmid kann sich das alles denken. Ihr sind diese ostfriesisch-tradierten Geistesströmungen vertraut - sieben Jahre predigt sie mit ihrem Mann in Rysum und Campen. Danach lebt die  vierköpfige Pastoren-Familie drei Jahre in Wuppertal. Doch Ostfriesland ruft. Laut. Seit zwei Jahren seelsorgen Heike und Jan Lüken Schmid in Visquard und Groothusen - und genießen schon beim Frühstück das  Wiesen-Panorama vorm Küchenfenster.

   Die Schmids setzen sich seither täglich lebhaft mit Freud und Leid auseinander. Aber nun ist auch mal Zeit für das Verjährte, meint Heike Schmid. Die kränkelnde Kirchenuhr mit dem Zeiger-Kuriosum kommt da gerade recht. Zielstrebig macht sich die Pastorin einen Reim von Goethe zu eigen: Benutze redlich deine Zeit! Willst Du was begreifen, such's nicht weit!

   Umsichtig erkundigt sie sich bei kirchlichen Anlässen oder beim obligatorischen Moin-Sagen am Gartenzaun - noch will sie nichts an die große Glocke hängen. Doch spontan kann sich keiner  erinnern, daß im Dorf jemals andere Zeiger den Lauf der Zeit markiert hätten. Die Pastorin forscht weiter - in Gemeindeunterlagen, bei der Ostfriesischen Landschaft, in der Johannes a Lasco Bibliothek und im Internet. Eine Nachbarin sucht ein Foto vom alten Kirchenportal heraus. Es ist in den 1950er-Jahren durch einen Bogen-Eingang ersetzt worden ist. Auf der schwarzweiß Aufnahme ist die Uhr zu sehen - ob sie zwei Zeiger hat, ist  nicht erkennbar.

   Und  dann  die  erste Annäherung an das Unbekannte: in der Kirche Hinte soll eine Uhr mit Balkenzeiger hängen. Der Kirchenrat Visquard macht sich auf und ist nach dem Ortstermin begeistert. Das Exemplar aus dem Jahre 1680 - heute nur noch eine hölzerne Hülle ohne Uhrwerk - hat was. Doch ob das nun auch was für Visquard ist, müssen die Vereinigten Gemeindeorgane im Dorf befinden. Der Kirchenrat, Gemeindevertreter und Heike Schmid sind in diesem Gremium vertreten.

Nur noch eine hölzerne Fassade, aber attraktiv: Stundenzeiger in der Kirche Hinte.

   Unablässig, allgewaltig, unaufhaltsam naht die Zeit. Bis zur letzten Minute sammelt die Pastorin Informationen. Und das, was sie an jenem Sitzungsabend vorlegt, überzeugt. Neun zu zwei für den Stundenzeiger! Entscheidend ist ein Auszug aus "Ostfriesland - Eine geschichtlich ortskundige Wanderung gegen Ende der Fürstenzeit" von O. G. Houtrouw (zwei Bände, erschienen 1889 und 1891). Hou trouw berichtet nämlich:    "Im Westgiebel zeigen sich über der Thür auf einem eingemauerten Stein das gräflich ostfriesische und das schwedische Wappen (ein Zeichen der  Verbindung Edzard's II. mit Catharina von Schweden) und ein Sonnenzeiger." Das ist er also, der Beweis!

    O. G. Houtrouw übersetzt der Nachwelt auch die Bedeutung der lateinischen Stein-Inschrift: "Die Stunde entflieht, hinschwindet die Zeit, wir altern in schweigenden Jahren, zügellos fahren und unverweilt die Tage dahin." Der gottesfürchtige Engel, der 1598 seinen irdischen Auftrag übernommen und seither wacker seine Flügel über Uhr, Wappen und Sinnspruch ausgebreitet hat, kann davon ein Lied singen. Doch er jammert nicht. Zwei Augen hat die Seel': eins schauet in die Zeit, das andere richtet sich hin in die Ewigkeit.

Die Uhr im Holzverschlag. Der Kirchmeister Arno Triebner kümmert sich um das historische Stück.

"Wenn de Uhr van Schlag of is, mut Arno Triebner komen." Heike Schmid kann das so lakonisch sagen, weil sich Pastorin und Gemeinde unbedingt auf ihren Kirchmeister verlassen können.

   Arno Triebner kennt die schmalen, steilen Stiegen, die zum Uhrwerk führen. Und er kennt die "Korphage"-Konstruktion, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in einem  Holzverschlag auf dem Dachboden rasselt. Seit gut vier Jahren kümmert sich der 49-Jährige. "Die Uhr hat mal eine ganze Weile gestanden und das hat mich gestört", erzählt der Visquarder. Er machte sich ans  Werk.   

   Mehrere Monate brauchte der gelernte Elektriker, um sich mit allen Rädern und Schrauben vertraut zu machen. Schließlich wanderten die Zeiger tadellos und die Kirchenglocke im Dachreiter läutete wieder.

   Die Glocke wird über eine Drahtseilverbindung in Bewegung gesetzt - zu jeder halben und vollen Stunde. Damit das so bleibt, reinigt und ölt Arno  Triebner das historische Stück zweimal im Jahr. Alle sechs Tage muß das Uhrwerk aufgezogen werden. Diese Aufgabe teilen sich der Kirchmeister und die Männer aus dem Vereinigten  Gemeindeorgan. Dafür gibt es einen Jahresplan - in Monatsschichten drehen sie an der Kurbel.

   Die Kirchenuhr in Visquard läuft also genau nach Plan - und auf die Minute. Mit dem neuen "alten" Balkenzeiger wird das anders. Arno Triebner hat sich mit diesem Gedanken gut angefreundet. Bei so einer bedeutenden Geschichte kommt es ihm wirklich nicht auf die Minute an. Als Leiter des Posaunenchores Visquard sind ihm überlieferte Werte  nur zu vertraut. Außerdem muss auch nichts an "seiner" Uhr verändert werden. Und so bleibt am Ende doch wieder alles anders.

Die reformierte Kirche Groothusen. Auf dem Dachreiter: ein Schwan, das Lutheraner-Zeichen.

Die Kirchenuhr in Visquard ist von 1598.

Ein Jahr jünger ist die Uhr von Groothusen (1597).

 Wie kommt Visquard zu so eitler bedeutenden Renaissance-Uhr? Heike Schmid läßt diese Frage nicht mehr los. In den Kirchenbüchern - die  ältesten stammen aus dem 18. Jahrhundert - hat die Pastorin nichts gefunden.

   Auch sonst sind ihre Recherchen kaum ergiebig, denn über die Jahrhunderte ist viel verschwunden und verblaßt. Aber  das, was die Pastorin bislang weiß, ist interessant. Und ungewöhnlich. Wieder bringt 0. G. Houtrouw ein wenig Licht in das Dunkel der Historie.

"Viskwert oder Fisquard - es ist ein Ort, der schon sehr früh in den Annalen unserer Landesgeschichte  Erwähnung findet", schreibt er. Er zitiert ein Klosterverzeichnis, in dem um 945 von "villa Frisgana" (Visquard) die Rede sein soll. Später ist der Ort Häuptlingssitz. "Sibrand van Visquert" hat um 1312 das Sagen, "Wygerd to Vysquarden" um 1404. Auch gibt es in Visquard eine Burg nahe der Kirche. Und Houtrouw berichtet:

   "Im 16. Jahrhundert war es eine  Zeitlang  (1583-92) Coetussitz (Coetus: Vereinigung ostfriesischer reformierter Pastoren). Als nämlich der lutherische Graf Edzard II. den ihm unbequemen allgemeinen Ostfriesischen Coetus zu Emden im Jahre 1583 verboten hatte, ließ sein reformierter Bruder, Graf Johann, zwei solche in seinen Ämtern Leer, Stickhusen und Greetsiel wieder errichten..."

   Der Hintergrund: In jener Zeit regieren zwei Grafen. Der Machtstreit lähmt, deshalb erwirkt Edzard II. ein reichsrechtliches Urteil gegen seinen Bruder Johann. Kaiser Rudolf II. entscheidet 1589 per Dekret, daß Johann drei Ämter zufallen - Leerort, Greetsiel und Stickhausen. Der Glaubenszwist zwischen dem Lutheraner Edzard und Calvinisten Johann geht weiter - und wirkt sich auch auf den reformierten Landstrich Krummhörn aus.

   Graf Edzard II. beruft den lutherischen Prediger Theodorus Sprangius am 5. Dezember 1596 von Pewsum nach Visquard. Ein vermutlich mit ihm verwandter Geistlicher - Gerhard Sprangius - geht 1597 von Campen nach Groothusen und predigt dort die lutherische Lehre.

   Hat Graf Edzard II. den Konfessionswechsel in Visquard und Groothusen mit großzügigen Schenkungen entlohnt?   Wahrscheinlich. Die Visquarder Kirchenuhr aus dem Jahre 1598 trägt sein Wappen und das seiner lutherischen Frau Catharina von Schweden, der Tochter des berühmten Königs Wasa. Auch an der Groothuser Kirchenuhr - sie ist  von 1599 - und an der Kirche in Pewsum sind diese Wappen zu finden.

   Theodorus Sprangius, sein Name ist in den Stein der Visquarder Kirchenuhr eingearbeitet, wirkt dort nur zwei    Jahre.   Houtrouw schreibt von einem "rothen Sandstein" im Chorraum der Kirche. Seine Inschrift: "Im Jahre 1598 den 11. Juni. Unter brünstiger Anrufung des wahren Gottes entschlief sanft der ehrwürdige Herr Theodorus Akandiro Sprangius der Jüngere, der erste Prediger der unverfälschten  Augsburgischen Confession bei den Pewsumern, nun aber bei den Visquardern, dessen Gebeine hier bestattet sind."

   Dieser Grabstein befindet sich nicht mehr in der Kirche in Visquard. Heike Schmid ist dabei, auch danach zu forschen. Sie ist außerdem zwei Herren auf der Spur, die der Bildhauer  namentlich und durch zwei Wappen-Darstellungen auf der Kirchenuhr verewigen wollte. "Meint Edzerts" und "Poppe Menen" waren vermutlich einflußreiche Bauern und Fürstentreue, die einen Obolus zur Uhr  gaben.

   Der lutherische Prediger Sprangius in Groothusen verläßt seine Wirkungsstätte schon 1600. Er geht ins Oldenburgische. Unter welchen Umständen ist nicht bekannt. Vielleicht, weil sein Förderer Graf Edzard II. am l. März 1599 stirbt und damit sein Einfßss? Wird die Kirchenuhr auf den Turm "verbannt", damit die Wappen Edzards II. und Catharinas den Blicken entschwinden? Eine glänzende Reminiszenz hinterläßt der wohl ungeliebte Gerhard Sprangius jedoch: bis heute dreht sich mit dem Wind ein Schwan auf dem Dachreiter der  reformierten  Kirche Groothusen - das Zeichen der Lutheraner.

Ostfriesland Magazin 6/2002 (Seite 12f)