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COHEN
Die Cohens stammen aus den Niederlanden und waren schon im
18.Jahrhundert im Raum Oude Pekela ansässig. Dort wurde 1725 der
spätere Schlachter Hartog Lazarus geboren, wahrscheinlich ein Sohn
des Lesman Cohen. Er war verheiratet mit Esther Nochums (* ca. 1727 und
+ 29. 1. 1806 in Nieuwe Pekela), höchstwahrscheinlich eine Tochter
von Nochum Daniels und Rachel Zadoks. Hartog konnte hebräisch
schreiben und seine Frau Esther sogar hebräisch und
niederländisch, wie aus Dokumenten hervorgeht. Das Ehepaar hatte
drei Kinder: Nochum Hartogs, Daniel Hartogs und Levie Hartogs. Hartog
Lazarus starb am 23. 3. 1810 in Nieuwe Pekela.
Der Sohn Nochum Hartogs (3/4 im Juli 1761 in Pekela und + 5. 1. 1827 in
Oude Pekela) war von Beruf Schlachter und Kaufmann. Er heiratete Frouke
Benjamins de Groot (* im Juli 1769 in Wildervank und + 6. 4. 1834 in
Oude Pekela), Tochter von Benjamin Heijes und Roosje Mozes. Das Ehepaar
wohnte in Oude Pekela und hatte sechs Kinder: Lazarus, Mozes, Daniel,
Samuel, Lea und Maria.
Der vierte Sohn, Samuel Nochums (3/4 12. 4. 1804 in Oude Pekela und +
28. 1. 1893 in Oude Pekela), war von Beruf "vleeshouwer", das
heißt, er war nicht befugt, rituelle Schlachtungen vorzunehmen,
sondern er durfte nur bereits geschlachtete Tiere verarbeiten. Er
heiratete am 12. 10. 1830 in Oude Pekela Hendeltje Nochems de Levie (*
im März 1808 in Oude Pekela und + 19. 5. 1888 in Oude Pekela),
Tochter von Nochem Benjamins und Beile de Beer. Als Mozes Cohen
allerdings auf dem Standesamt Rhaudermoor im Jahre 1907 den Tod seines
Vaters Nochum anmeldete, gab er als Mädchennamen seiner
Großmutter den Namen "Pinto" an.
Samuel und Hendeltje wohnten in Oude Pekela. Sie hatten neun Kinder,
von denen drei aber tot geboren wurden. Am Leben blieben Nochum,
Frouke, Benjamin, Hartog, Baruch und Betje. Sie alle trugen jetzt den
Familiennamen Cohen. Von den sechs Kindern wanderten zwei nach
Preußen aus: Frouke (* 14. 6. 1836 in Oude Pekela und + 18. 1.
1904 in Rhaudermoor) und Nochum (* 28. 2. 1831 in Oude Pekela und + 1.
9. 1907 in Rhaudermoor).
Nochum Cohen war wie sein Vater von Beruf auch "vleeshouwer" und dazu
noch Kaufmann. Er konnte anscheinend in Oude Pekela kein Auskommen
finden und versuchte, sich in den umliegenden Orten eine Existenz
aufzubauen, denn er wechselte mehrfach seinen Wohnsitz. 1856 war er in
Nieuwe Pekela gemeldet. Im selben Jahr, am 14.8.1856, heiratete er
Flora de Vries (* 28. 8. 1836 in Winschoten und + 17. 2. 1870 in Oude
Pekela). Die Hochzeit fand in Oude Pekela statt, doch 1861 wohnte das
Paar in Winschoten. Als Flora 1870 starb, hielten sie sich in Oude
Pekela auf, und 1871 zog Nochum nach Bellingwolde. Dort heiratete er am
11. 3. 1871 Sina Nathans, hier auch bekannt als Sientje Oppenheim (*
21. 1. 1839 in Boertange und + 22. 9. 1904 in Rhaudermoor). Sie war die
Tochter von Mozes Nathans Oppenheim und Dina Telts Frank. Für
Sientje war es auch die zweite Ehe. Sie hatte 1867 Simon de Pool
geheiratet, doch diese Ehe muß ziemlich bald geschieden worden
sein, denn Simon heiratete 1877 ein zweites Mal.
Das Ehepaar Nochum Cohen und Sientje Oppenheim wohnte bis 1875 in
Bellingwolde. Dort wurden auch ihre beiden Töchter Dina (* 5. 2.
1872 und + 25. 10. 1904 in Rhaudermoor) und Hendeltje (* 12. 7. 1873)
geboren. Bei der Geburt des Sohnes Mozes (* 8. 11. 1875 und + 3. 2.
1934 in Rhaudermoor) wohnte die Familie wieder in Oude Pekela. In ihren
ersten Ehen hatten beide keine Kinder gehabt. Sientje Nathans Oppenheim
scheint eine dominante Frau gewesen zu sein, denn die erste Tochter aus
ihrer Ehe mit Nochum Cohen hieß Dina und wurde nach Sientjes
Mutter benannt und der einzige Sohn Mozes nach ihrem Vater. Die zweite
Tochter Hendeltje erhielt den Namen von Nochums Mutter.
In den siebziger Jahren des 19.Jahrhunderts wurden die Perspektiven
für eine ausreichende wirtschaftliche Existenzgrundlage für
die jüdischen Schlachter und Viehhändler im Raum der Pekela's
immer schlechter. Zahlreiche Familien wanderten nach "Preußen",
d.h. in das neue deutsche Kaiserreich aus. Dort waren die Juden de jure
seit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 gleichberechtigt.
1879 entschlossen sich auch Nochum Cohen und Frau Sientje, mit ihren
drei Kindern in Ostfriesland ihr Glück zu suchen. Die Initiative
ging wahrscheinlich von Nochums Schwester Frouke Cohen und ihrem
Ehemann Gumpel de Levie aus. Die hatten schon Verwandte in
Ostfriesland: Gumpels Bruder Benjamin de Levie war bereits 1875 mit
seiner Familie nach Stickhausen ausgewandert, und sein Bruder Salomon
de Levie wohnte seit 1878 mit seiner großen Familie in Ihrhove
und hatte sich dort schon ein Haus gekauft.
Während Frouke und Gumpel de Levie mit ihrer großen
halbflüggen Kinderschar sich anscheinend gleich in Rhaudermoor
niederließen, wie aus dem Adressbuch von 1880/81 zu ersehen ist,
haben Nochum und Sientje mit ihrer Familie angeblich zuerst in
Ostrhauderfehn gewohnt, und zwar an der 1. Südwieke in dem Haus
hinter Rösko Prahms Geschäft. Das erzählte jedenfalls
mein Großvater Johann Hensmanns (* 5. 10. 1872 und + 30. 7.
1964). Er sei mit Mozes Cohen zur Schule gegangen, in die alte Schule
neben dem Untenender Friedhof in Ostrhauderfehn. Auch die Namen der
beiden Schwestern waren ihm geläufig. Sie waren in seinem Alter
und sind wohl in der gleichen Klasse gewesen.
Auch in späteren Jahren, als Erwachsene, kehrten mein
Großvater und Mozes stets die alten Bekannten heraus, wenn sie
sich trafen. Mozes fragte zum Beispiel: "Hest noch wat in Handel?"
Johann entgegnete dann meistens: " Bloot Swien', ober dor deist du ja
nich mit." So hat jedenfalls mein Vater Anton Hensmanns (* 27. 6. 1905
und + 7. 6. 1996) wiederholt berichtet.
Die Tochter Hendeltje Cohen muss nach Beendigung ihrer Schulzeit als
Dienstmädchen in Amsterdam gearbeitet haben, denn 1893, am 21.
September, wurde dort ihr Sohn Hermann geboren, der auch 1894 noch in
Amsterdam gemeldet war. Da er einen "deutschen" Vornamen trug, stammte
sein Vater vielleicht aus Deutschland oder Hendeltje hatte einfach
Gefallen an dem damals in Deutschland modischen Vornamen gefunden.
Leider ist nicht mehr festzustellen, wann die Familie Cohen nach
Rhaudermoor zog, da Meldebücher aus jenen Jahren nicht vorliegen.
Im Hauptdebitoren-Buch des Westrhauderfehner Kaufhauses C.A.J. Hagius
Sohn ist auf der Seite 609 zu lesen, dass ein Nathan Cohen aus der
Rhauderwieke in den Jahren 1894 und 1896 dort Waren eingekauft hat, die
er 1897 inklusive 5% Zinsen bezahlte. Da es keine zweite Familie Cohen
auf dem Fehn gab, kann davon ausgegangen werden, dass Herr Nochum und
Frau Sientje um diese Zeit schon in der Rhauderwieke wohnten.
Im Jahre 1904 jedenfalls, als Frau Sientje (+ 22. 9.) und Tochter Dina
(+ 25. 10.) innerhalb weniger Wochen starben, wohnten sie mit
Sicherheit dort, denn auf dem Grabstein ist als Todesort
Westrhauderfehn angegeben. Um diese Zeit muss Mozes auch geheiratet
haben. Seine Frau, Klara Neumann (* 30. 12. 1880 in Stralsund), war die
Tochter des Zigarrenfabrikanten Albert Neumann und der Laura geborene
Posthausen aus der Ossenreyerstraße 42 in Stralsund. 1882/83
zogen die Neumanns von Stralsund weg. Wo und wann Mozes und Klara genau
geheiratet haben, wissen wir nicht.
Am 1. September 1907 starb auch Nochum Cohen. Er wurde wie seine Frau
Sientje und Tochter Dina auf dem Friedhof in Leer am Schleusenweg
beigesetzt. Sein Grabstein ist während der NS-Zeit leider stark
beschädigt worden, so dass die Schriftzeichen darauf nicht mehr zu
erkennen sind. Frau Sientje und Dina bekamen einen gemeinsamen
Grabstein, der in unmittelbarer Nähe zu finden ist.
Nach dem Tode des Vaters Nochum war Mozes jetzt das Familienoberhaupt.
Er bewohnte ein älteres Fehntjer Haus, das schräg
gegenüber der Jürgenaswieke längs an der Rhauderwieke
stand. Im Adressbuch des Landkreises Leer von 1910 wird er als
Viehhändler in der Rhauderwieke aufgeführt und im Adressbuch
von 1926 als Schlachter, das heißt, er hatte die Lizenz zu
rituellen Schlachtungen. Er handelte überwiegend mit Kleinvieh,
also mit Kälbern, Schafen, Lämmern und Geflügel, und er
verkaufte auch Schaffleisch und Schafwolle, wie aus den Anzeigen im
Generalanzeiger vom 16. 8. 1922 und vom 11. 6. 1924 zu ersehen ist. Die
bestellten Portionen transportierte er in einem Korb, der vorne auf
seinem Fahrrad befestigt war, wenn er seine Kunden belieferte. Auch
wenn er zu den "kleinen Leuten" in der Rhauderwieke zählte und er
für sein bescheidenes Einkommen unermüdlich tätig sein
musste, besaß er doch ein eigenes Haus und blickte hoffnungsvoll
in die Zukunft.
Mozes und Klara Cohen hatten zwei Kinder, die beide in Rhaudermoor
geboren wurden: Bianka (* 6. 11. 1906) und Walter Nochum (* 13. 9.
1910). Bianka wurde am 31. März 1913 unter der Verzeichnisnummer
88 in der Volksschule Rhauderwieke eingeschult. Registriert ist dort
auch das Datum ihrer ersten Pockenschutzimpfung vom 6. 6. 1907. Als
Beruf des Vaters ist "Händler" eingetragen. Auf einem Schulbild
der Schule Rhauderwieke aus dieser Zeit sieht man Bianka mit einer
weißen Haarschleife inmitten ihrer Klassenkameraden.
Walter Cohen wurde am 26. April 1916 unter der Nummer 129 in das
Schülerhauptverzeichnis der Volksschule Rhauderwieke eingetragen.
Als Datum seiner ersten Pockenschutzimpfung ist der 6. 6. 1912
angegeben. Am 23. 3. 1921 wurde Walter laut Bemerkung im
Schülerhauptverzeichnis zum Besuch der Privatschule in
Westrhauderfehn entlassen.
Die "Höhere Privatschule" in Westrhauderfehn war im Jahre 1908 als
eine Art Vorschule des Gymnasiums und des Lyzeums gegründet
worden. Solche Vorschulen gab es damals in vielen größeren
Orten auf dem Lande, um den Kindern den beschwerlichen Weg zur
höheren Schule oder gar die frühe Trennung von der Familie so
lange wie möglich zu ersparen. Voraussetzungen für den Besuch
einer solchen Einrichtung waren eine erfolgreiche Aufnahmeprüfung
und die Zahlung eines monatlichen Schulgeldes. Die "Höhere
Privatschule" in Westrhauderfehn wurde im Jahre 1924 in eine staatliche
Gemeindemittelschule umgewandelt und ist heute unter dem Namen
"Kreisrealschule Overledingerland" bekannt.
Aus dem Jahre 1926 gibt es ein Foto von der Untertertia mit Konrektor
Siebert. Leider sind nur die Namen von einigen wenigen Mädchen
dieser Aufnahme überliefert. Der kleine Junge rechts neben
dem Konrektor mit der Schülermütze und dem verschmitzten
Lachen könnte Walter Cohen sein. Der pensionierte Schulleiter von
Möhlenwarf und Hobbykünstler Heinrich Reents, der aus
Ostrhauderfehn stammte und in den zwanziger Jahren auch diese Schule
besucht hat, konnte sich unlängst noch an seinen Mitschüler
Walter Cohen erinnern.
Mozes Cohen hatte damals sicher Großes mit seinem Sohn Walter
vor, der sollte es einmal besser haben als er. Ungeachtet dessen
führte er ihn von der Pike auf in das Geschäft des
Viehhandels ein. Ein Foto, aufgenommen um 1930 vor dem Plümerschen
Gasthof "Deutsches Haus" in der Rhauderwieke, zeigt Vater Mozes und
Sohn Walter inmitten von Viehhändlern und anderen honorigen
Leuten. Walter Cohen war eine elegante Erscheinung, ein charmanter
Gesprächspartner sowie ein ausgezeichneter Tänzer und deshalb
in der damaligen Damenwelt sehr beliebt.
Doch als 1933 die NS-Zeit begann, mussten alle Zukunftsträume
begraben werden. Es blieb Walter schon fast gar nichts anderes mehr
übrig, als in das Geschäft seines Vaters einzusteigen, denn
von nun an waren jüdische und ehemals jüdische Menschen
Einwohner zweiter Klasse, die kaum noch Perspektiven hatten.
Für sie änderte sich bald der ganze Alltag. Bianka Cohen
hatte zu dieser Zeit das Elternhaus bereits verlassen. Sie war 1933
schon 26 Jahre alt und arbeitete in Aurich. Sie wohnte in der
Fockenbollwerkstraße 11 laut einer Liste des Ordnungsamtes der
Stadt Aurich über die 1933 in Aurich wohnhaft gewesenen Juden. Sie
meldete sich am 12. 6. 1933 nach Enschede/Holland ab. Dort wurde sie
sesshaft und heiratete am 19. Dezember 1940 im Alter von 34 Jahren
während der deutschen Besatzung Leopold de Leeuw (* 23. 6. 1888 in
Enschede). Kinder hatten sie nicht. Von Enschede aus kamen sie
über das Lager Westerbork nach Auschwitz, wo beide am 12. 10. 1942
umgebracht wurden.
Mozes Cohen hatte schon vor der NS-Zeit Ärger mit den
Behörden wegen seines Hauses. Es war schon älteren Datums und
stand längs an der Straße mit der Giebelseite Richtung
Westrhauderfehn. Auf einem Foto der Rhauderwieke von Heiko Athen um
1900 kann man nur die hohen Bäume vor dem Giebel erkennen, die den
Blick auf das alte Haus selbst verdecken. Im Gebäude selbst war es
wegen der dichten Baumkronen ziemlich dunkel. Therese Luikenga
fürchtete sich als Kind immer ein wenig, wenn sie zu Cohens ins
Haus kam und durch den düsteren Flur ging.
In den dreißiger Jahren plante die Gemeinde Rhaudermoor, den
heutigen Neuen Weg, damals "Zeegenstraat" genannt, der vom Deich
kommend in der Nähe der Kleinbahnschienen nach Südwesten
abbog und dem Verlauf der heutigen Bahnhofstraße folgte, bis zur
Rhauderwieke in voller Breite zu verlängern, denn bis dato war
hier nur ein Trampelpfad vorhanden, "Mozes-Otto-Weg" genannt. Just an
dieser Stelle stand nun Mozes Cohens Haus im Weg.
Die Gemeinde wollte ihm Haus und Grundstück abkaufen und plante,
ein Enteignungsverfahren in Gang zu setzen, als er nicht dazu
bereit war. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen
waren, wurde auf die Rechte der einzelnen Bürger keine
Rücksicht mehr genommen, erst recht nicht auf die Rechte eines
jüdischen Bürgers. Nun ging alles sehr schnell. Schon im
Oktober 1933 wurden die Arbeiten für den Ausbau ausgeschrieben.
Mozes Cohen blieb nichts mehr übrig, als am Vormittag des 3. 2.
1934, einem Sabbat, seine Unterschrift unter einen Kaufvertrag zu
setzen. Er war so verzweifelt, dass er sich am Nachmittag desselben
Tages auf dem Dachboden seines Hauses umbrachte, bevor er es
endgültig verlassen musste. Er sah sein Lebenswerk und seine
Existenzgrundlage zerstört. Er hatte mit seinen knapp sechzig
Jahren wohl keine Hoffnung mehr auf eine Perspektive für einen
Neuanfang unter den herrschenden politischen Voraussetzungen.
Als die Nachbarschaft davon erfuhr, waren alle sehr bestürzt.
Selbst die Heimatzeitung brachte zwei Tage später eine kurze
Meldung. Heinz Bergenthal erinnerte sich, dass die Nachbarn auch die
Bergung des Leichnams übernahmen, da der Sohn Walter ja zu den
Kohanim gehörte und aus rituellen Gründen nicht mit Toten in
Berührung kommen durfte.
Da Mozes Cohen am heiligen Sabbat seinem Leben selbst ein Ende gesetzt
hatte, was in der jüdischen Tradition als schweres Vergehen gegen
Gott angesehen wird, kamen bei seiner Beerdigung am 6. Februar 1934
eigens für diesen Anlass bestimmte Riten zur Anwendung: Mehrere
Zeitzeugen berichten übereinstimmend, dass etliche Mitglieder der
Trauergemeinde auf dem Weg zum Friedhof den Sarg an mehreren Stationen
mit Reisigruten schlugen, zum Beispiel, als er vom Wagen in die
Kleinbahn getragen wurde, sozusagen als Strafe für den Selbstmord.
Mozes Cohen wurde auf dem Friedhof in Leer am Schleusenweg beerdigt.
Auf seinem Grabdenkmal sind die beiden segnenden Hände
eingemeißelt, die daran erinnern sollen, dass er einer der
Kohanim war, ein Nachfahre Aarons, und somit aus dem Priestergeschlecht
stammte (Grab Nr. 226).
Nach Mozes' Tod zogen Frau Klara und Walter Nochum in das Gumpertzsche
Haus auf der anderen Seite der Rhauderwieke. Hermann Gumpertz hatte zu
dieser Zeit Deutschland schon verlassen und war mit seiner Familie nach
Holland geflüchtet. Walter versuchte, so gut es ging, das
Viehhandelsgeschäft seines Vaters weiterzuführen. In den
Jahren 1935/36 hatte er von dem Auktionator Conrad Graepel noch neun
Hektar Weideland am Rajen gepachtet, das berichtete 1988 jedenfalls die
ehemalige Angestellte des Auktionators, Dini Schustereit.
Außerdem hatte Walter in Ostrhauderfehn eine Braut, Mimi Rull,
die er nach den neuen "Nürnberger Gesetzen" zum Schutze des
deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 jedoch
nicht mehr heiraten durfte, da sie keine Jüdin war.
Aber die Geschäfte gerade der jüdischen Kleinviehhändler
kamen mehr und mehr zum Erliegen. In einer Hetzbeilage der
Ostfriesischen Tageszeitung vom 20. 7. 1935 wurde die Bevölkerung
noch einmal gezielt darauf aufmerksam gemacht, dass der
Viehhändler Walter Cohen in der Rhauderwieke ein Jude sei, mit dem
ein "Deutscher" keine Geschäfte machen sollte. Frau Klara und Sohn
Walter muss jedenfalls nach und nach klar geworden sein, dass sich die
Verhältnisse für sie in Deutschland so bald nicht bessern
würden. Durch den Kontakt mit Tochter und Schwester Bianka aus
Enschede gewannen sie sicherlich einen detaillierteren Einblick in die
Hintergründe der deutschen Politik als es den meisten
Einheimischen aufgrund der Gleichschaltung der Medien hier möglich
war. Jedenfalls entschlossen sich Walter Cohen und seine Mutter Klara,
nach Holland zu ziehen. Probleme mit einem Einreisevisum hatten sie
nicht, denn sie besaßen beide die niederländische
Staatsangehörigkeit. Trotzdem bedurfte es noch eines längeren
"Papierkriegs", vor allem wegen der Devisensperre, wenn man legal
ausreisen wollte.
Klara Cohen meldete sich am 3. 9. 1937 nach Emmen/Holland bei der
Gemeinde Rhaudermoor ab. Walter Nochum folgte ihr dorthin am 21.3.
1938, ein halbes Jahr vor der Pogromnacht am 9. 11. 1938. Der
Taxenunternehmer Jakob Schuver aus Westrhauderfehn soll ihn mit einem
Mietwagen bis zur holländischen Grenze gebracht haben. Ob er trotz
der Devisensperre und der "Auswanderungsabgabe" von dem Cohenschen Hab
und Gut noch ein wenig nach Emmen hinüberretten konnte, ist nicht
bekannt.
Während der NS-Besatzung wurde Walter Cohen wie seine Schwester
Bianka und sein Schwager Leopold über das Durchgangslager
Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort am 30. 9. 1942
umgebracht. Ehemalige Bekannte aus dem hiesigen Raum, so erzählte
mein Vater Anton Hensmanns immer wieder, sollen ihn in einem Waggon auf
dem Abstellgleis an der Reimerstraße in Leer damals gesehen
haben. Über das weitere Schicksal von seiner Mutter Klara Cohen
geb. Neumann ist nichts bekannt. Sie ist anscheinend noch in Emmen
gestorben.
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