WEINBERG / GRÜNBERG

   Die Westrhauderfehner Weinbergs stammen aus dem Raum zwischen Wiehengebirge, Dümmer und Osnabrück. Die übrigen Weinberg-Familien im hiesigen Raum sind mit ihnen nicht näher verwandt.
Schon bei der Erfassung der jüdischen Familien des Landdrosteibezirks Osnabrück im Jahre 1844 gab es in der Synagogengemeinde Buer einen Baruch Zacharias Weinberg, der einem Haushalt mit drei männlichen und fünf weiblichen Personen vorstand.
Ein Mitglied dieser Familie war offenbar der Schlachter David Weinberg. Er wohnte zeitlebens in diesem kleinen jüdischen Zentrum am Wiehengebirge. Er war zweimal verheiratet. Seine erste Ehefrau Johanna geborene Goldstein stammte aus Lage in Lippe/Detmold. Das Ehepaar hatte sieben Kinder, von denen die beiden ältesten als Kleinkinder kurz nacheinander starben: Jakob David, Carl Kalmann, Joseph, Salman/Sally, Esther/Emma und Isaak.
Nach dem Tod von Frau Johanna verheiratete sich David Weinberg am 11. 8. 1875 in Buer mit Julie Silbermann, die aus Lemförde am Dümmer stammte. Aus dieser zweiten Ehe gingen sieben Kinder hervor: Levie, Minna, Baruch/Bernhard, Israel/Isidor/Julius, Heinemann/Hermann, Alfred und Jakob.

Nach dem Ausbau der Eisenbahnlinie Rheine - Norddeich in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts sahen sich zahlreiche Juden aus dem Raum Münster-Osnabrück im nördlichen Emsland und in Ostfriesland um, und einige fassten hier Fuß. So auch die Weinbergs. Tochter Emma heiratete den Schlachter und Viehkaufmann Levie Löwenstein aus Weener, Westerstraße 30.


Familie Bernhard Weinberg


Anlässlich der Besuche bei ihrer Schwester in Weener müssen die jüngeren Weinberg-Brüder Bernhard und Alfred dort die Familie Grünberg aus der Neuen Straße 49 kennengelernt haben. Der Produktenhändler Abraham Hartog Grünberg hatte vorher mit seiner Frau Frauke geb. Cohen und den zehn gemeinsamen Kindern in Jemgum gewohnt, betrieb aber nun mit seinen erwachsenen Söhnen einen Fell-, Schrott- und Viehhandel in der Neuen Straße 47 in Weener (später: Kommerzienrat-Hesse-Straße). Bernhard Weinberg heiratete am 28. Oktober 1906 in Weener die  Grünberg-Tochter Rahel. Trauzeugen waren sein Schwiegervater Abraham H. Grünberg und sein Schwager Levie Löwenstein. Das junge Ehepaar wohnte laut Meldeliste zunächst über zwei Jahre in Buer. Dort wurde am 4. 3. 1907 auch die einzige Tochter Caroline Lilly geboren.

Doch der Seniorchef der Firma "A. Grünberg Söhne" in Weener legte Wert darauf, dass seine Kinder sich möglichst in seiner näheren Umgebung niederließen, damit sie auch weiterhin geschäftlich zusammenarbeiten konnten. Da abzusehen war, dass Frau Rahels drei jüngere Schwestern  Maria, Caroline und Flora, sowie die fünf Brüder Hermann, Aron, Philipp, Max und Wilhelm auch bald eigene Familien gründen würden, sah sich Schwiegervater Abraham Grünberg nach Möglichkeiten um, sein Geschäft zu erweitern.

Als neuen Standort guckte er sich Westrhauderfehn aus. Dort war ein Eisenbahnanschluss (Kleinbahn mit Normalspur) in der konkreten Planung, und in dem aufstrebenden Ort gab es noch keinen jüdischen Händler für Alteisen und Felle, sondern nur die Viehhändler und Schlachter de Levie und Cohen. Es lohnte sich also, dort zu investieren.

Der Schmiedemeister Johann Dirk Brunsema verkaufte ihm einen Bauplatz mit einem Stück Land in einer hervorragenden Lage am Untenende und Abraham Hartog Grünberg ließ darauf im Jahre 1909/10 ein modernes geräumiges Haus bauen, im Fehntjer Stil mit einem großen Hinterhaus.   
Dorthin zogen Bernhard Weinberg und Frau Rahel mit Tochter Lilly und Philipp Grünberg, der wie sein Schwager Bernhard Weinberg zusätzlich zum Fell- und Schrotthandel noch als Viehkaufmann tätig war. Im Jahre 1915, mitten im ersten Weltkrieg, bot Bernhard Weinberg  zum Beispiel  mittels einer halbseitigen Anzeige im Anzeiger für das Overledingerland einen ganzen Transport ostpreußischer Pferde zum Verkauf an, bar und auf Zahlungsfrist. Pferde waren damals gesucht, denn sie wurden im Krieg massig verschlissen.

Die Familie war bald gut etabliert. Bernhard Weinberg engagierte sich bei dem Männer-Turnverein Westrhauderfehn e.V. und kaufte im Jahre 1913 einen der Anteilscheine, die zum Aufbau eines Fonds zur Errichtung einer Turnhalle vergeben wurden. Frau Rahel beschäftigte ein Dienstmädchen wie damals in Geschäftshaushalten üblich, und Tochter Lilly hielt sich gerne bei den Nachbarn Brunsema auf, die eine Schmiede hatten, und deren halbflügge Töchter bei den Weinbergs die Rolle der "Sabbat-Gojim" übernahmen, d.h. sie verrichteten alle notwendigen Arbeiten wie Feuer machen, Licht ein- und ausschalten und Essen aufwärmen, die Weinbergs selbst am Sabbat nicht erledigen durften.

Im Jahre 1917 kam Bernhard Weinbergs Mutter Julie, die schon seit vielen Jahren verwitwet war, für ein halbes Jahr von Buer nach Westrhauderfehn, zu welchem Anlass sie sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt an- und abmeldete, denn so war es damals vorgeschrieben und während des I. Weltkrieges auch notwendig, um Lebensmittelkarten zu bekommen.  

Irgendwann in der Zeit von 1914 bis 1918 musste Bernhard Weinberg auch als Soldat in den Krieg ziehen. Es gibt ein Foto aus dieser Zeit, das ihn in Uniform zeigt. Zum Glück kehrte er unversehrt zurück.

Ein Jahr nach dem Ende des Krieges, am 29. 11. 1919, starb Schwiegervater Abraham Hartog Grünberg in Weener. Die Firma "A. Grünberg Söhne" wurde neu organisiert und in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt, wie aus einer Grundbucheintragung von 1924 zu ersehen ist. Aron Grünberg wohnte mit seiner Familie in Weener, Am Hafen 9. Hermann Grünberg zog nach seiner Heirat mit Martha Schönthal aus Norden in die Feldstraße 8 (heute: Risiusstraße). Philipp Grünberg verheiratete sich mit Angelica Schaap aus Lathen und ließ sich in Leer in der Gartenstraße (später: Reimerstraße) nieder und eröffnete am 18.1. 1921 eine Viehhandlung. Wilhelm Grünberg, der 1920 für ein paar Wochen in Westrhauderfehn wohnte, zog nach Ihrhove, wo er sich gut ein Jahr aufhielt. Am 1. 3. 1922 meldete er sich in Leer an und heiratete im November des gleichen Jahres Henny Schaap aus Lathen. Das Paar übernahm das Haus in der Bremer Straße 14a von Willy Cohen, der mit Maria Grünberg verheiratet war.                                              Leer war damals für Viehhändler sehr attraktiv, denn dort entwickelte sich zu jener Zeit der größte wöchentliche Viehmarkt in ganz Deutschland. Wenn man auf diesem Berufsfeld erfolgreich sein wollte, war es vorteilhaft, dort auch zu wohnen.                                        

Bei der Witwe Frauke Grünberg geborene Cohen in der Neuen Straße 49 in Weener verblieb bald nur noch der ledige Sohn Max, denn Flora Grünberg, Rahels jüngere Schwester, heiratete am 11. Januar 1920 in Weener Bernhard Weinbergs Bruder Alfred, der aus dem Krieg zurückgekehrt war und schon im November 1919 von Buer nach Westrhauderfehn zog, um dort die reibungslose Übergabe des Geschäfts abzuwickeln, das er mit Frau Flora übernehmen wollte. Dafür zog Bernhard Weinberg mit Frau Rahel und Tochter Lilly 1920 dann von Westrhauderfehn nach Weener in die Neue Straße 51 neben das schwiegerelterliche Haus.

Das Geschäft in der Neuen Straße 47, Telefon-Nr. 211, wurde noch um einen Textilhandel erweitert. Die Grünbergs und Weinbergs in Weener waren angesehene Leute. Im Visitationsbericht des Landesrabbiners von Emden an die Regierung in Aurich vom 9. 7. 1927 steht zu lesen, dass sowohl Bernhard Weinberg als auch sein Schwager Aron Grünberg Mitglieder des Repräsentantenkollegiums der Synagogengemeinde Weener waren.             

Gegen Ende der zwanziger Jahre hielten es die Grünberg-Söhne für vorteilhafter, die Firma zu splitten und mit dem erworbenen Anteil in Zukunft eigenverantwortlich Geschäfte zu tätigen. Die Firma "A.Grünberg Söhne" wurde 1929 aufgelöst. Philipp Grünberg kaufte in Leer das Haus Reimerstraße 6 neben der Bahn. Wilhelm Grünberg eröffnete am 1. 4. 1927 ein eigenes Viehhandelsgeschäft in seinem Haus in der Bremer Straße 14a. Hermann Grünberg erhielt das Anwesen in Westrhauderfehn am Untenende überschrieben, wo seine Schwester Flora und sein Schwager Alfred Weinberg ihr Geschäft betrieben. Er selbst siedelte mit seiner Familie nach Leer über, in die Bremer Straße 13, und eröffnete dort am 15. 1. 1933 einen Viehhandel. Aron Grünberg zog mit seiner Familie auch von Weener weg. Max Grünberg und Bernhard Weinberg blieben im Stammhaus in Weener, handelten aber offensichtlich jeweils auf eigene Rechnung, denn am 11. Oktober 1927 wurde zwischen Bernhard Weinberg und seiner Ehefrau Rahel eine notarielle Gütertrennung vereinbart.                                           

Mit Beginn der NS-Zeit 1933 war es mit der heilen Welt bald vorbei. Die Geschäfte gingen nach und nach immer schlechter. Im Jahre 1935 wurde der Betrieb in Weener in der Kommerzienrat-Hesse-Straße in einer Hetzbeilage der Ostfriesischen Tageszeitung noch als jüdisches Geschäft aufgeführt, und sowohl Max Grünberg als auch Bernhard Weinberg wurden als jüdische Viehhändler bezeichnet, was den Schluss zulässt, dass sie um diese Zeit hauptsächlich Viehhandel betrieben.

Tochter Lilly muss als junge Frau eine Zeit lang in Frankfurt gewohnt haben, denn dort wurde am 5. 10. 1935 ihre Tochter Annemarie Rosel geboren. Während der folgenden Jahre kehrte sie jedoch nach Weener in ihr Elternhaus zurück. Nun wohnten im Hause Weinberg/Grünberg in der Kommerzienrat-Hesse-Straße Urahne, Großmutter, Mutter und Kind unter einem Dach vereint. Doch die Idylle trog.

Am 3. 2. 1937 verstarb Schwiegermutter Frauke Grünberg geborene Cohen  in Weener.                                                         

Das neue Gesetz der NS-Regierung vom 6. Juli 1938 zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich entzog vielen jüdischen Firmen die Betriebserlaubnis. Für die Viehhändler bedeutete das Einziehen der Wandergewerbescheine und Legitimationskarten eine schwerwiegende Behinderung in ihrer Berufsausübung. Sie durften nur noch in ihrem Wohnort, dem Ort ihrer Zulassung, mit Vieh handeln. Die Firma von Max Grünberg und Bernhard Weinberg in Weener konnte von nun an kein Stück Vieh mehr von den Bauern kaufen, denn die wohnten ja in den umliegenden Dörfern und nicht in der Stadt. Außerdem durften sie den Viehmarkt in Leer jetzt  nicht mehr beliefern. Die Firma musste aufgegeben werden, und das Haus wurde "arisiert". Max Grünberg zog Anfang November 1938 nach Bremen in die Isarstraße 33 zu seiner ältesten Schwester Rosa, deren Ehemann, der Produktenhändler Adolf Grünberg, schon im Dezember 1933 verstorben war.                                                            

Die Familie Weinberg blieb zunächst noch in Weener und wohnte Am Hafen 26. Bernhard Weinberg betrieb heimlich einen Hausierhandel mit Kurzwaren und Kleintextilien, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Er suchte Bekannte auf und verkaufte ihnen ab und zu einige Kleinigkeiten, unter anderem bot er auch seiner früheren Nachbarin aus Westrhauderfehn, Grete Janssen geborene Brunsema, seine Waren an.                        

Im Zuge des Judenpogroms am 9./10. 1938 wurde Bernhard Weinberg mit anderen jüdischen Männern mittels Lastwagen nach Leer in den neuen Viehhof gebracht und von dort mit einem Güterzug ins KZ Sachsenhausen deportiert. Wann genau er zu seiner Familie zurückkehren konnte, ist nicht überliefert.

Als 1940 alle Juden auf Anordnung der Gestapo-Leitstelle Wilhelmshaven Ostfriesland verlassen mussten, zog Bernhard Weinberg mit Frau Rahel und Tochter Lilly sowie Enkelin Rosel ebenfalls nach Bremen, denn außer Frau Rahels Bruder Max und ihrer Schwester Rosa mit Familie wohnten dort noch weitere entfernte Verwandte aus der weitverzweigten Grünberg-Familie. Familie Weinberg fand eine bescheidene Unterkunft in Bremen-Blumenthal in der Wilhelmstraße 9 (heute: Cord-Steding-Straße 9). Laut Auskunft von Wiltrud Ahlers aus Blumenthal gehörte das Haus Familie Spingelt. Dieses Ehepaar lebte in einer "Mischehe", wie es damals hieß. Moritz Spingelt (* 23. 12. 1862 Marmorfüss) war "Arier" und seine Frau Rosalie geborene Herz (* 10.5. 1862 Grohn) war Jüdin. Da die Eheleute sich nicht scheiden lassen wollten, mussten Moritz Spingelt und seine Söhne an verschiedenen Orten Zwangsarbeit leisten, unter anderem auch beim Bunkerbau in Bremen-Farge.

Unglücklicherweise befanden sich im Nachbarhaus der Spingelts die Blumenthaler Zentrale der NSDAP und der Treffpunkt der Hitlerjugend (HJ). Es scheint in der Wilhelmstraße jedoch auch Familien gegeben zu haben, die gegenüber den Juden keine Berührungsängste hatten. Eine Nachbarin erinnert sich, dass sie als Kind mit Rosel Weinberg gespielt hat. Diese hatte ein Puppenbett, das ihr Großvater Bernhard Weinberg aus alten Bettfedern (Spiralfedern?) zusammengebaut hatte. Die Spielkameradin hätte selbst auch gerne so eins gehabt und war froh, dass sie es ab und zu im Tausch gegen ein anderes Spielzeug für eine Weile ausleihen durfte. Als Rosel eines Tages plötzlich weg war, wollte ihr niemand sagen, wohin sie gegangen war.

Wie die Weinbergs in Bremen ihren Lebensunterhalt verdient haben, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Es ist gut möglich, dass Bernhard Weinberg und auch Tochter Lilly zu einer Arbeit abkommandiert wurden. Es wurde für die Juden ohnehin Tag für Tag mühseliger, das Leben zu meistern, da sie seit Ende des Jahres 1938 durch immer neue Verordnungen mehr und mehr von der Normalität des Alltags ausgeschlossen wurden. Das Tragen des gelben Sterns in der Öffentlichkeit ab dem 15. September 1941 bedeutete eine weitere Ausgrenzung und Stigmatisierung.

Am 24. Oktober 1941 ordnete der Chef der Ordnungspolizei im Reichssicherheitshauptamt, Daluege, in einem Schnellbrief an, dass "vom 1. November bis zum 4. Dezember 1941 ... aus dem Altreich, der Ostmark und dem Protektorat Böhmen und Mähren 50 000 Juden nach dem Osten in die Gegend um Riga und Minsk abgeschoben" werden sollten, und zwar in Transportzügen zu je 1000 Personen; als Ausgangsorte wurden u.a. auch Hamburg, Bremen und Düsseldorf genannt.

Die 440 Bremer Juden mussten sich am 18. November 1941 zwischen sechs und sieben Uhr morgens an vorgegebenen Stellen sammeln und wurden dann von Uniformierten zum Lloydbahnhof gebracht. Sie durften pro Person nur einen Koffer mit 50 kg Bekleidung, Bettwäsche oder Schuhe und für vier Tage Proviant mitnehmen. Die Wohnung musste in einem ordnungsgemäßen Zustand hinterlassen und der Schlüssel bei der Polizei abgeliefert werden. Während sie auf den Transportzug aus Hamburg warteten, mussten sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie Feinde der Deutschen Regierung und deshalb ab November 1941 staatenlos seien und somit kein Anrecht mehr auf ihr zurückgelassenes Eigentum hätten.

Unter diesen Bremer Juden am Lloydbahnhof befanden sich laut den Transportlisten der Jüdischen Kultusgemeinde Bremen auch die Mitglieder der Familie Weinberg aus der Wilhelmstraße 9 in Blumenthal: Herr Baruch, Frau Rahel, Tochter Caroline Lilly und Enkelkind Annemarie. Max Grünberg war zu dieser Zeit schon nicht mehr am Leben. Auf ihren Abtransport am Lloydbahnhof warteten ebenfalls Hugo Grünberg und seine Frau Klara geborene Israel, Sohn und Schwiegertochter der ältesten Grünberg-Schwester Rosa. Diese selbst und ihre Tochter Marianne sowie ihr Schwiegersohn Carl Katz und ihre Enkeltochter Ingeborg Berger konnten noch vorläufig in Bremen-Blumenthal in der Parkstraße 1 bleiben. Sie wurden am 23.7. 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Am Abend vor dem Abtransport klopfte Rahel Weinberg im Schutze der Dunkelheit bei einem Nachbarn in der Wilhelmstraße ans Fenster und bat um etwas Warmes zum Anziehen, denn Kleiderkarten für den Kauf von Textilien gab es für Juden nicht. Sie erhielt zwei warme Strickjacken. Kurze Zeit später kam sie noch einmal zurück und überreichte sechs silberne Teelöffel mit Monogramm als Dank. Fünf Teelöffel sind noch heute im Besitz der Familie, einer wurde während des Krieges zu einem Armband umgearbeitet. Das erfuhr Wiltrud Ahlers von einer alten Nachbarin aus der heutigen Cord-Steding-Straße.

Das Transportziel Minsk war den wartenden Juden am Lloydbahnhof nur gerüchteweise bekannt. Sie rechneten damit, irgendwo in den besetzten russischen Gebieten in einem Arbeitslager angesiedelt zu werden. Nathan Felczer, dessen Tochter in Bremen bleiben konnte, weil sie in einer "Mischehe" verheiratet war, hatte frankierte Postkarten mitgenommen, von denen drei sogar ordnungsgemäß in Bremen ankamen, so dass die Reiseroute über Krenz, Warschau und Baronowitschi - etwa 150 km vor Minsk - nachvollzogen werden kann.

In Minsk wurde der Transport von der SS mit Peitschen-und Gewehrkolbenhieben sowie wüsten Beschimpfungen empfangen und dann in das mit etwa 100 000 Juden aus der Sowjetunion völlig überfüllte Ghetto getrieben. Kurz bevor die ersten Transporte ankamen, hatte man dort mit Stacheldraht einen Teil abgetrennt und so für die deutschen Juden eine Art Sonderghetto geschaffen. Die hier zuvor wohnenden etwa 7000 Menschen waren in der ersten Novemberwoche einfach erschossen worden.
Da viele der Toten noch in den Wohnungen lagen, mussten die Ankömmlinge aus Bremen und Hamburg die erste Nacht und den nächsten Tag draußen verbringen bei 25° Kälte, während einige von ihnen abkommandiert wurden, die Leichen wegzubringen und die Wohnungen zu säubern. Das berichtete Richard Frank, einer der wenigen überlebenden Bremer nach der NS-Zeit.

Ebenfalls ins Ghetto Minsk deportiert wurden die Familien von Frau Rahels Brüdern Philipp und Wilhelm Grünberg, die seit der Vertreibung der Juden aus Ostfriesland im Frühjahr 1940 in Essen wohnten. Sie mussten am 10. November 1941 in Düsseldorf den Transportzug besteigen. Ob die Geschwister sich noch vor der Deportation benachrichtigen konnten oder ob sie sich im Ghetto Minsk später getroffen haben, wissen wir nicht. Obwohl den einzelnen Transporten nach Herkunftsorten abgegrenzte Wohngebiete im Sonderghetto zugewiesen wurden, waren diese nicht durch Stacheldraht voneinander getrennt, so dass Kontakte möglich waren. Es war für die Weinbergs und Grünbergs sicherlich tröstlich, in einer so schweren Zeit mit den Verwandten gewissermaßen ein kleines Stückchen Heimat bei sich zu haben.

Im Ghetto gab es weder Elektrizität noch Heizmaterial. Und das in dem besonders kalten Winter 1941/42! Wasser konnte nur aus wenigen Brunnen geholt werden und zu essen gab es außer einer dünnen Suppe kaum etwas. Tagsüber wurden die Frauen und Männer im arbeitsfähigen Alter zu schwerer körperlicher Arbeit abkommandiert.                          

Infolge dieser katastrophalen Umstände starben schon viele Menschen während der ersten Wochen. Wer bis zum Frühjahr überlebt hatte, fiel später einer der vielen Liquidierungsaktionen zum Opfer. Die Bewohner ganzer Straßenzüge wurden dann zusammengetrieben und am Rande großer Massengräber erschossen oder in Spezialfahrzeugen vergast, um Neuankömmlingen Platz zu machen. Insgesamt sind im Ghetto Minsk etwa 135 000 Menschen umgebracht worden.

Eine der größten Massenmordaktionen im Ghetto Minsk fand am 28. und 29. Juli 1942 statt. Dabei mussten über 10 000 Menschen ihr Leben lassen, auch viele Bremer Juden. Unter den Opfern war laut Auskunft des Bundesarchivs Koblenz auch Rahel Weinberg geb. Grünberg. Wann genau Ihr Ehemann Bernhard Weinberg, ihre Tochter Lilly und ihre Enkeltochter Rosel umgekommen sind, kann niemand sagen. Fest steht jedenfalls, dass von den 440 Bremer Juden, die am 18. 11. 1941 ins Ghetto Minsk deportiert wurden, nur sechs überlebt haben.

Im September 2008 wurden vor dem Haus in der Cord-Steding-Straße 9 in Bremen-Blumenthal zur Erinnerung an die Familie Weinberg vier Stolpersteine gesetzt.



Familie Alfred Weinberg


Alfred Weinberg war hauptberuflich Viehhändler, kannte sich aber auch damit aus, Tiere koscher zu schlachten. Er war in seinen jungen Jahren im westfälischen Raum viel herumgekommen, denn aus der Meldeliste von Buer ist zu ersehen, dass er zeitweise in Bielefeld, Herford und Schöttmar wohnte und arbeitete.
 
Nachdem er unversehrt aus dem I. Weltkrieg zurückgekehrt war, meldete er sich bald nach Ostfriesland ab, denn in Weener wohnte seine Schwester Emma. Ihre Familie hatte er schon von Kind an ab und zu besucht und dabei sicherlich auch Flora Grünberg kennengelernt, die Schwägerin seines Bruders Bernhard, der mit seiner Familie in Westrhauderfehn wohnte.

Am 11. 1. 1920 wurden Alfred Weinberg und Flora Grünberg ein Ehepaar.

Da die Firma "A. Grünberg Söhne" nach dem Tod des Seniorchefs gerade neu organisiert wurde, wechselte Bernhard Weinberg mit Familie nach Weener und Alfred und Frau Flora etablierten sich gleich nach ihrer Heirat in Westrhauderfehn. Sie setzten sich sozusagen "ins gemachte Nest", denn sie konnten alle Geschäftsverbindungen übernehmen, die ihre Geschwister seit 1910 geknüpft hatten. Hatte Bernhard Weinberg das Geschäft noch mit den ledigen Grünberg-Brüdern Philipp und Wilhelm gemeinsam aufgebaut und betrieben, wie aus dem Adressbuch von 1910 und aus der Mitteilung auf einer Postkarte von Viehhändler Julius Frank aus Leer an Frau Poppen in Ostrhauderfehn von 1912 zu ersehen ist, so geht aus dem Adressbuch von 1926 klar hervor, dass Alfred Weinberg das Geschäft jetzt allein führte, was nicht bedeutete, dass er nicht mit seinem Bruder Bernhard aus Weener und seinen Grünberg-Schwagern aus Leer eng zusammenarbeitete. Diese nannten damals schon einen großen Viehtransporter mit Außenschaltung ihr eigen. Damit holten sie ab und zu Großvieh bei Alfred Weinberg ab; daran erinnert sich jedenfalls Kapitän Hermann Buß, der bis 1927 in dem Harmschen Haus nebenan wohnte.

Laut Schmiedemeister Brunsema, der ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu Alfred Weinberg hatte, wurde der nach einiger Zeit ziemlich wohlhabend. Trotzdem war er sich nicht zu schade, auch kleine Verdienstmöglichkeiten wahrzunehmen, und wenn es der Kater der Familie Reents aus Ostrhauderfehn war, den er unentgeltlich mitnehmen konnte. Um bei seinen oft einfachen Geschäftspartnern keine übertriebenen finanziellen Begehrlichkeiten zu wecken, stellte er seinen bescheidenen Reichtum nicht zur Schau, sondern fuhr mit einem alten Fahrrad zu seiner Kundschaft.     

Bei den Weinbergs stellte sich bald Kindersegen ein: Am 23. 8. 1922 wurde Diedrich geboren - Dieter gerufen -, am 14. 11. 1923 Frieda - Friedel genannt - und am 7. 3. 1925 Albrecht - von seinen Spielkameraden später auch Alwin gerufen.  

Frau Flora beschäftigte ein Kindermädchen, Anni Lüdemann aus Leer, bis zum Sommer 1923, und bereits im Januar 1923 zog eine junge Verwandte ihres Mannes, Johanna Weinberg (* 13. 2. 1899 in Ennigloh), zu ihnen nach Westrhauderfehn. Sie meldete sich als Pensionärin auf dem Einwohnermeldeamt an und blieb bis zum 25. 9. 1924, als sie sich nach Ahle bei Herford verabschiedete. Ansonsten gehörte laut Auskunft der ehemaligen Nachbarin Agathe Helling geb. Brunsema noch eine Eggeline Meyer aus Rhaudermoor zu den Haushaltshilfen. Sie soll auch die Rolle des "Sabbatgois" wahrgenommen haben.

Neben dem Vieh-, Fell- und Schrotthandel betrieben die Weinbergs, wie alle Viehhändler damals, auch eine kleine Landwirtschaft. Dini Schustereit geb. Saadhoff aus der Nachbarschaft erinnerte sich, dass sie früher bei Weinbergs Milch holte wie sicherlich auch noch andere Nachbarn. Agathe Helling hatte noch bis ins hohe Alter die vielen Hühner und die von Eiern überquellenden Nester vor Augen. Alfred Weinberg bekam bei seinen Geschäften oft ein Huhn "up Koop toe".

Zusätzlich zu ihrem eigenen Grundstück hatten Weinbergs noch ein Stück Weideland und eine große Streuobstwiese von dem Auktionator Conrad Graepel am Rajen gepachtet. Therese Luikenga geborene Schulna wohnte dort in der Nähe. Sie erinnert sich, dass die Weide eingezäunt war, während unter den Apfelbäumen einzelne Kühe oder auch Schafe angepflockt waren. Manchmal kam es vor, dass sich ein Tier mit dem Tau zwischen den Bäumen verhedderte, dann wurde Therese von ihrer Mutter zu Weinbergs geschickt, um sie darüber in Kenntnis zu setzen.

Dass Alfred Weinberg nicht nur ein erfolgreicher Viehhändler war, sondern auch sehr viel von Tieren verstand, lässt sich aus einer Begebenheit schließen, die sich zu Beginn der 1930er Jahre zugetragen hat und an die sich Johannes Lücht noch bis ins hohe Alter erinnert: Als eines Tages Lüchts einzige Kuh kalbte, blieb das verhältnismäßig große Kalb stecken und ließ sich nicht wie üblich herunterziehen. Der herbeigerufene Tierarzt fand auch keine Lösung und schlug als letzten Ausweg vor, das Kalb abzuschneiden, um so die Kuh zu retten. Bevor es dazu kam, wurde Johannes Lücht von seiner Mutter zu Alfred Weinberg geschickt. Der kam auch gleich zusammen mit seinem Bruder Bernhard und sah sich die Kuh an. Beide Weinberg-Brüder stellten die Kuh so hin, dass sie ihren Rücken ganz krumm machen musste und nach kurzer Zeit ließ sich das benommene Kalb langsam herunterziehen. Nachdem Alfred Weinberg ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen hatte, wurde es quietschlebendig und konnte abgerieben werden.  

Die drei Weinberg-Kinder besuchten alle die heutige Sundermannschule am Untenende, und Dieter wurde nach der Grundschulzeit in die Mittelschule Westrhauderfehn aufgenommen (heute: Kreisrealschule Overledingerland). Sie waren Untenendjer Kinder wie andere auch, und wie alle echten Fehntjer Jungen brach Albrecht eines Tages auf dem zugefrorenen Kanal ins Eis ein und musste herausgezogen werden. Daran erinnert sich noch Johannes Lücht aus der Nachbarschaft. Die Weinbergs sprachen plattdeutsch wie die meisten Leute damals und unterschieden sich nur in ihrer Religion von den übrigen Fehntjern.

Hildegard Albert geb. Ulpts aus der Dr.-Leewog-Straße wohnte bis 1932 in der Nachbarschaft der Weinbergs. Sie ging mit Friedel und Albrecht zur Schule und spielte oft mit ihnen. Sie erinnert sich, dass Mutter Flora am Sabbat wohl zu ihr sagte: "Kannst du uns wall 'n Stückje Törf in't Obend leggen?"

Anlässlich hoher jüdischer Feiertage und manchmal auch zum Sabbat fuhren die  Weinbergs mit der Eisenbahn über Ihrhove nach Weener zu ihren Verwandten. Die Nachbarn Brunsema versorgten dann das Vieh und molken die Kühe. Als Entgelt durften sie die Milch behalten. In Weener besuchte Familie Weinberg dann die Synagoge und Dieter und Albrecht feierten dort auch ihre Bar Mizwa, als sie das dreizehnte Lebensjahr vollendet hatten. Der Besuch bei der Großmutter Frauke Grünberg geb. Cohen in der Kommerzienrat-Hesse-Straße wurde für die heranwachsenden Weinberg- Kinder im Laufe der Jahre zur lieben Gewohnheit, und Weener wurde gleichsam zur zweiten Heimat. Friedel und Albrecht Weinberg erinnern sich auch heute noch gern daran.

Nach Hitlers "Machtergreifung" am 30. 1. 1933 gehörte diese Zeit des friedlichen Zusammenlebens bald der Vergangenheit an. Nicht nur in der großen Politik wurden neue Akzente gesetzt, sondern auch hier auf dem Fehn wurde die Bevölkerung lautstark und mit hektischer Betriebsamkeit               
darauf aufmerksam gemacht, dass andere Zeiten angebrochen waren.

Im April 1933, während der Tage des Boykotts jüdischer Geschäfte, erschien der junge Bahns vom Hotel Frisia in SA-Uniform bei Weinbergs und forderte die Herausgabe der Schächtmesser, die Alfred Weinberg bisher zum koscheren Schlachten für den Eigenbedarf benutzt hatte. Das Schächten wurde in Deutschland verboten, und wie in vielen anderen Städten wurden auch in Leer die Schächtmesser öffentlich verbrannt.

Gegenüber Weinbergs Haus, wo der Untenendjer Kanal einen Knick in Richtung Schleuse, Mühle und Verlaatshaus macht, befand sich früher Harms Helgen. Auf diesem Gelände stand später die Drogerie Prahm. Das winzige dreieckige Grundstück davor am Ortsausgang Richtung Ostrhauderfehn gehörte der Gemeinde. Heute überquert dort der Radweg die Bundesstraße 438 mitten durch das Blumenbeet. Diese Stelle erkoren sich die lokalen NS-Größen gleich im Frühjahr 1933 für ihre parteipolitischen Aktivitäten aus: Sie richteten das kleine Grundstück her und nannten es "Adolf-Hitler-Platz". Selbstverständlich gab es eine offizielle Einweihung mit Aufmärschen, Fahnen, Schildern und dem üblichen Medienrummel.
Wie zu erwarten, hatten Weinbergs unter der Nähe zu dieser neuen NS-Einrichtung zu leiden. Schon während der Herrichtung des Platzes klopften NS-Leute bei ihnen an die Tür oder an die Fenster und machten ihnen Angst. Da in den Monaten und Jahren danach dieser Platz bei besonderen Anlässen meistens ein Ziel-oder Ausgangspunkt für Aufmärsche war, musste die Familie Weinberg jedes Mal mit diesen Belästigungen und Bedrohungen leben. Am Tage der Einweihung kam eine Abordnung und bot ihnen zwei Freikarten für Palästina an. "Hätten wir sie man genommen", sagen Albrecht und Frieda Weinberg heute.

Obwohl sie noch Kinder waren, bekamen Dieter, Friedel und Albrecht auch schon bald die Folgen der NS-Judenhetze zu spüren. Die Spielkameraden und Mitschüler zogen sich nach und nach zurück. Für viele von ihnen waren sie jetzt bloß noch "olle Jöden", Kinder zweiter Klasse, mit denen man nicht mehr gerne etwas zu tun haben wollte und auf die man keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte. Die neuen Organisationen, seien es die "Pimpfe" oder die "Jungmädel", bei denen viele Klassenkameraden begeistert mitmachten, waren ohnehin für Juden verboten. Die beiden Jungen von der Drogerie Prahm aus der Nachbarschaft, die bisher zu den Spielkameraden der Weinberg-Kinder gehört hatten, wollten nichts mehr von ihnen wissen. Sie spuckten sie jetzt an und warfen eines Tages sogar mit Steinen nach ihnen. Dieter, Friedel und Albrecht  waren auf dem Fehn bald völlig isoliert und verstanden die Welt nicht mehr. Es muss für sie sehr schmerzlich gewesen sein, dass sie von ihren Mitschülern und auch von einigen Lehrern mehr und mehr drangsaliert und ausgegrenzt wurden.

Eine neue Hiobsbotschaft für die Weinbergs war die Verfügung über die Rassentrennung an den Schulen vom 10. 9. 1935. Diese Regelung wurde ab 1936 in den einzelnen Gemeinden umgesetzt. Dieter musste bald darauf die Mittelschule in Westrhauderfehn verlassen und seine Schullaufbahn aufgeben. "Weinberg, pack deine Sachen und geh nach Hause! Du hast hier nichts mehr zu suchen," hieß es eines Tages, erinnert sich Johannes Lücht. Da Dieter seine achtjährige Schulpflicht erfüllt hatte, begann er eine kaufmännische Lehre in Emlichheim im Kreis Grafschaft Bentheim.

Friedel und Albrecht mussten nun die jüdische Schule in Leer besuchen. Diese bis dahin einklassig geführte Einrichtung war auf den plötzlichen Schüleransturm aus allen Teilen des Landkreises gar nicht eingerichtet und bald hoffnungslos überfüllt. Obwohl die israelitischen Lehrer Popper und später Spier und Hirschberg ihr Bestes versuchten, fehlte es an allen Ecken und Enden, denn die Stadt Leer, die für die sächlichen Kosten der Schule aufzukommen hatte, reduzierte ab 1936 die finanziellen Zuwendungen von bisher 1 100 RM jährlich auf 400 RM. Das Lehrergehalt wurde allerdings wie bei anderen Schulen vorerst weiter vom Staat bezahlt.

Die Weinberg-Kinder konnten nun während der Woche nicht mehr bei ihren Eltern in Westrhauderfehn wohnen, denn der Schulweg war zu weit, und bei einer täglichen Fahrt mit der Kleinbahn nach Leer hätten sie zu viele Pöbeleien der Mitreisenden über sich ergehen lassen müssen. Außerdem wäre es ihren Eltern schwer gefallen, das Geld für die Fahrkarten aufzubringen, denn die Geschäfte gingen in diesen Jahren schon spürbar schlechter.

Wie gut war es deshalb, dass sie Verwandte und gute Bekannte in Leer hatten! Albrecht wohnte jetzt während der Woche bei seinem Onkel und seiner Tante, Willy Cohen und Maria geb. Grünberg, in der Bremer Straße 70. Dort konnte er mit seinem gleichaltrigen Cousin Alfred spielen.  Sein Vetter Dago und seine Cousinen Frieda und Resi waren zu der Zeit schon erwachsen. Friedel kam bei Bekannten unter, im Hause des Viehhändlers Albert Frank in der Bremer Straße 64, in der Nachbarschaft von ihrem Bruder Albrecht. Obwohl ihre Gastfamilien es sicher nicht an liebevoller Fürsorge fehlen ließen, hatten Albrecht und Friedel natürlich Heimweh nach Vater und Mutter und nach ihrem Zuhause auf dem Fehn.                     

Gleich zu Beginn der NS-Zeit, im April 1933, gab es eine Aktion "Boykott der jüdischen Geschäfte". SA-Leute stellten sich ein paar Tage lang vor die jüdischen Läden und wollten die Kunden vom Einkaufen abhalten, um den Juden auf diese Weise Verdienstausfälle zu bescheren.  Auf diese Weise hoffte man, die Juden auf lange Sicht zum Auswandern bewegen zu können, da die Käufer ausblieben. Diese Hoffnung der NS-Regierung ging aber in der Branche des Viehhandels im nordwestdeutschen Raum so bald nicht in Erfüllung, denn ohne die jüdischen Viehhändler wäre die gesamte Infrastruktur des Viehhandels zusammengebrochen, da die Juden in dieser Branche fast ein Monopol hatten. Obwohl der agrarpolitische Fachberater der NSDAP, W. Voß, schon am 5. April 1933 im Anschluß an den Viehmarkt in Leer im Centralhotel einen nationalsozialistischen Viehhändlerverband gründete, zu dem Juden selbstverständlich keinen Zutritt hatten, setzten die meisten Bauern einstweilen ihre Geschäfte mit den Juden fort, zumal ihnen deren Geschäftsusancen besser gefielen als die Praktiken vieler nichtjüdischer Händler.

Das änderte sich erst 1935, als die Juden durch die "Nürnberger Gesetze" zu Menschen minderen Rechts gemacht wurden. Es war zwar noch nicht verboten, mit Juden Geschäfte zu machen, aber zwei Jahre antijüdische Hetze übelster Sorte und zwei Jahre "Gleichschaltung" aller Medien und gesellschaftlicher Gruppen mit entsprechender Einschüchterung der Abweichler wirkten sich nach und nach sehr negativ auf die Geschäfte der Juden aus. Auch gutwillige Leute scheuten sich davor, im "Stürmerkasten" als Judenknechte angeprangert zu werden und sahen sich nach Alternativen um. Und die gab es mittlerweile auch im Viehhandel, denn die NS-Regierung hatte das Bezugs- und Absatzgenossenschaftswesen im ländlichen Raum in der Zwischenzeit stetig ausgebaut.

Auch beim Vieh-, Fell- und Schrotthändler Alfred Weinberg in Westrhauderfehn liefen die Geschäfte nicht mehr richtig. Es wurde kaum noch etwas verdient. Johann Korrelvink aus Ostrhauderfehn, der 1936 bei der Firma Wilhelm Olligs im Westrhauderfehner Untenende eine kaufmännische Lehre begann, erinnert sich, dass Dieter Weinberg dort damals ab und an nur noch 50 Pfund Kohlen für den häuslichen Bedarf einkaufte und sie mit dem Eimer zu seinen Eltern nach Hause trug. Am 20. Juli 1935 machte die Ostfriesische Tageszeitung in einer Hetzbeilage die Leser noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam, dass das Produkten- und Viehgeschäft von A. Weinberg in Westrhauderfehn ein jüdisches Geschäft sei. Im Januar 1936 sahen sich die Grünbergs und Weinbergs gezwungen, ihr Haus mit Grundstück in Westrhauderfehn an den Schiffsmakler und Werftbetreiber Harm Schaa von der Witten Hülle am Hauptfehnkanal weit unter Preis zu verkaufen. Ein Teil des Kaufpreises wurde als Hypothek eingetragen und sollte erst 1941 mit 5% Zinsen an die drei Schwager von Hermann Grünberg ausgezahlt werden.                                            

Da Friedel und Albrecht in Leer die Schule besuchten, guckten sich Flora und Alfred Weinberg dort nach einer Wohnung um. Sie scheinen nicht auf Anhieb eine gefunden zu haben, denn offensichtlich haben sie nach dem Verkauf ihres Hauses am Untenende noch für eine Übergangszeit auf der Witten Hülle gewohnt. Bei ihrer Anmeldung in Leer am 22. 8. 1936 gaben sie jedenfalls als Herkunftsort Rhaudermoor an und nicht Westrhauderfehn. Die Familie war letztendlich heilfroh, dass sie eine kleine gemeinsame Hinterwohnung im Hause des Viehhändlers Polak in der Bremer Straße 62 beziehen konnte. Obwohl sie einen Teil ihrer Möbel im Kuhstall unterstellen mussten, weil in der Wohnung nicht genug Platz vorhanden war, freuten sich doch alle, wieder beisammen zu sein. Am 23. Juni 1937 kam dann auch Dieter von Emlichheim wieder nach Hause.

Um diese Zeit lebten die meisten jüdischen Familien nur noch von ihrer Substanz und hofften auf bessere Zeiten. Etliche wagten auch im Ausland einen Neuanfang, vor allem in Holland, denn für Juden mit niederländischer Staatsangehörigkeit waren die Ausreisebedingungen 1936 noch vergleichsweise günstig. Es gab ein Abkommen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der niederländischen Regierung, dass diese Juden bis zu 40 000 RM zum Aufbau einer neuen Existenz transferieren konnten. Dieses Transferabkommen endete allerdings am 31. März 1937. Juden mit deutschem Pass durften in der Regel nur ihre Möbel mitnehmen und bis zu 2000 RM Bargeld, wenn es ihnen gelang, alle Unterlagen für die Auswanderung zu beschaffen. Auch wenn die Zentralstelle für jüdische Auswanderer in Berlin bei der Koordination behilflich war, warteten viele Ausreisewillige vergeblich auf ein Einreisevisum, denn wie in den meisten europäischen Ländern neigte man auch in Holland mehr und mehr dazu, sich gegen die ständig anschwellende Flut der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland abzuschotten.

Da Weinbergs keine Möglichkeit sahen, mit ihren geringen Mitteln in einem fremden Land eine neue Existenz aufzubauen, und sie auch keine Verwandtschaft in Holland hatten, die sie in der Übergangszeit hätte unterstützen können, wie ein paar andere hiesige jüdische Familien, blieben sie in Leer und hofften auf bessere Zeiten.

In der Pogromnacht am 9. November 1938, der sogenannten "Kristallnacht", wurde auch den letzten Juden mit einem Schlag klar, dass man auf eine Besserung der Verhältnisse in Deutschland in absehbarer Zeit nicht mehr hoffen konnte. Überall in Deutschland und dem inzwischen angeschlossenen Österreich brannten in dieser Nacht und am folgenden Tag die Synagogen, und zahlreiche Geschäfte und Wohnhäuser wurden geplündert und demoliert. Was als spontaner "Volkszorn" ausgegeben wurde, war in Wirklichkeit eine gezielt vorbereitete Aktion der NS-Regierung.

Auch in Leer brannte unter Anleitung von Bürgermeister Drescher bald die große Synagoge an der Heisfelder Straße. Die jüdischen Familien wurden aus den Häusern geholt und auf die Nesse zum Viehhof getrieben.
Unter ihnen war auch die Familie Weinberg aus der Bremer Straße 62. Die vierzehnjährige Friedel hatte ein paar Wochen zuvor, im August 1938, gerade ihre erste Arbeitsstelle als Dienstmädchen in einem jüdischen Geschäftshaushalt in Emden angetreten. Sie wurde dort von den Ereignissen überrascht und war heilfroh, dass ihre Mutter sie bald von dort wieder zu sich nach Leer holte.

In den jüdischen Geschäften und Wohnhäusern machten sich SA-und HJ-Horden zu schaffen und hinterließen in den meisten Fällen ein "Schlachtfeld".

Auch bei den Grünbergs in der Reimerstraße und in der Bremer Straße erschienen SA-Leute und konfiszierten alles, was irgendwie ein bisschen wertvoll aussah: silberne Bestecke, Silber- und Zinnbecher, Armbänder, eine Kaffeekanne, ein Radio, 900 RM in bar und zwei Sparbücher, die aber fast kein Guthaben mehr aufwiesen.

Die Frauen, die Kinder und die gebrechlichen alten Männer ließ man im Laufe des 10. November nach Hause gehen. Die übrigen 56 Männer wurden im Viehhof in den Schweinestall gesperrt und am nächsten Tag, dem 11. 11. 1938, zusammen mit den Männern der übrigen jüdischen Gemeinden aus der Umgebung in das Konzentrationslager Sachsenhausen transportiert. Unter ihnen waren auch Alfred und Bernhard Weinberg und ihre Grünberg-Schwagern.

Karl Polak, der den Holocaust überlebt hat und im Herbst 1945 nach Leer zurückkehrte, berichtete später darüber:

"Am Nachmittag kamen Viehwaggons. Wir wurden wie Vieh mit Schlägen hineingetrieben, und dann setzte sich der Zug in Richtung Oldenburg, etwa 60 km entfernt, in Bewegung. Dort durchfuhren wir den Bahnhof und hielten irgendwo auf den Geleisen. Von ferne sahen wir ein großes Gebäude, das aussah wie eine Schule oder eine Kaserne, und auf dem Hof davor sehr viele Menschen, offenbar zusammengetrieben aus dem ganzen Bezirk. Ihr Anblick war jammervoll. Niemand von uns wußte den Grund für diese Massenverhaftungen, noch was man mit uns vorhatte. Wir waren in absoluter Unkenntnis und Hoffnungslosigkeit. Aber ich erblickte unter den vielen Gesichtern das meines Onkels Jakob aus Oldersum, er war ein Bruder meines Vaters.

Unablässig trafen neue Wachmannschaften ein, an den Zug wurden immer neue Waggons gekoppelt; zwischendurch erhielten wir etwas Kommißbrot. Dann brüllten unsere Wächter Befehle, so daß unsere Leute immer unruhiger wurden. Besonders die Älteren litten unter dieser Behandlung und fielen beinahe um. Einer von ihnen war mein Onkel Jakob, Schwerbeschädigter aus dem ersten Weltkrieg. Er hatte noch Granatsplitter im Körper, die nicht hatten entfernt werden können und die machten ihm immer noch Beschwerden.

In der folgenden Nacht setzte sich der endlose Zug in Bewegung, immer noch unter strenger Bewachung. Stundenlang rollten wir, nach unserer Meinung in östliche Richtung, mit langen Aufenthalten auf Ausweichgeleisen. Flucht war unmöglich; denn unsere Bewacher waren bewaffnet, außerdem hätten nur wenige von uns dazu noch die Kraft gehabt.Endlich, nach vielen Aufenthalten und Rangierereien, hielt der Zug. Ich dachte, wir wären in der Umgebung von Berlin, und das erwies sich dann auch als richtig. Die Türen der Waggons wurden brutal aufgerissen, und wir sahen eine große Anzahl von SS-Leuten auf uns zukommen; sie waren mit Reitpeitschen bewaffnet und hatten Hunde bei sich. Einige brüllten: "Kommt raus, ihr dreckigen Judenschweine, los, lauft! Beeilung!" Wir glaubten, die Welt ginge unter. Die Älteren von uns stolperten beim Sprung aus dem Waggon, und dann wurden sie heftig angeschnauzt. Die SS-Leute schlugen auf sie ein, hetzten ihre Hunde auf sie und ließen diese zubeißen. Ein alter Mann, Herr Sally Löwenstein, fiel tot um. Wir anderen liefen, immer von den SS-Leuten getrieben, in ein Barackenlager, das von einem elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun umgeben war; es war das Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg. Über dem Eingangstor standen die Worte zu lesen: "Arbeit macht frei!"

Wir mußten auf einem großen Platz in Fünferreihen antreten, und dort haben wir zwanzig Stunden lang gestanden. Viele brachen zusammen und blieben leblos am Boden liegen. Während dieser Zeit fragte die SS jeden nach seinem Beruf. Diejenigen, die einen freien Beruf angaben, der womöglich noch ein langes Studium erfordert, etwa Ingenieur oder Rechtsanwalt, erhielten einen besonderen Denkzettel in Form von Fuß
tritten und Faustschlägen. Einen von uns fragte ein SS-Mann: "Bist du Rabbiner?" "Nein, ich bin Lehrer." "Ein stinkiger Jude bist du!" brüllte  der zurück. Der Unglückliche mußte unter den Schlägen des SS-Mannes mit lauter Stimme mehrmals wiederholen: "Ich bin ein stinkiger Jude."

Ein alter Mann fiel ohnmächtig um. Ein SS-Mann trat herzu, versetzte ihm einige Stiefeltritte und sagte: "Steh' auf, du bist hier nicht im Sanatorium!" Aber der Mann blieb leblos, trotz der Tritte. Nach einer Stunde wurde er auf einer Bahre fortgetragen; er war schon lange tot. - Ich berichte hier nur über Vorfälle, die ich selbst aus der Nähe beobachten konnte; aber man könnte ein ganzes Buch nur über unseren Empfang und unseren Aufenthalt in Sachsenhausen schreiben.

Bevor wir in die Baracken eintreten durften, wurden uns die Haare geschoren; unsere persönlichen Sachen wurden uns abgenommen und in einem namentlich gezeichneten Säckchen verschlossen. Dann erhielten wir Gefangenenkleider mit einer aufgenähten Zahl. Während der drei Monate, die ich in Sachsenhausen verbrachte, habe ich viel Leid gesehen. Morgens wurden - nach endlosen Zählappellen - die Arbeitsfähigen an den Arbeitsplatz gebracht. Es war Winter und bitterkalt. Die Älteren erstarrten bei dem Frost und wurden krank. Ich mußte mit einer Gruppe von Leidensgefährten in einer Hafenanlage arbeiten. Dort waren Kähne zu entladen, die mit Steinen, Zementsäcken und Ziegelsteinen beladen waren. Wer sich ungeschickt anstellte oder zu schwach war, wurde von der SS-Wache in den Kanal geworfen und mußte anschließend den ganzen Tag in den nassen Kleidern arbeiten. Das löste vielerlei Erkrankungen aus, die oft tödlich ausgingen. Auch innerhalb des Lagers waren gewerbliche Werkstätten, in denen Häftlinge von uns eingesetzt wurden. Dort war die Arbeit etwas leichter, doch auch nicht ohne Schikanen.

Nach ungefähr zwei Wochen wurden die ersten Gefangenen, die zusammen   mit mir angekommen waren, entlassen. Bis Ende Dezember erhielten die Älteren, besonders die ehemaligen Weltkriegsteilnehmer, eine gewisse "Freiheit" zurück. Zu diesen gehörten auch mein Vater und mein Onkel; beide hatten sehr unter der Haft gelitten. Mein Vater hatte Erfrierungen an Händen und Füßen; auch mein Onkel war von den Mißhandlungen gezeichnet. Für mich war es eine Erleichterung zu wissen, daß ich als Einziger von meiner Familie in diesem Lager blieb. Wer das Lager verließ, mußte sich bei der "politischen Abteilung" durch Unterschrift verpflichten, nichts von dem zu enthüllen, was er gesehen, gehört oder erlitten hatte. Mir persönlich wurde bei der Entlassung bedeutet, daß ein Bruch dieses Verbots eine mehrjährige Haftstrafe zur Folge haben würde. - Man kann sich vorstellen, mit welcher Vorsicht wir uns bewegen mußten, als wir wieder zu Hause waren."

Soweit der Bericht von Karl Polak.

 Die meisten Gefangenen kamen nach und nach frei. Etliche ältere und gesundheitlich angeschlagene Männer überlebten diese Zeit nicht. Karl Polak wurde am 9. Februar 1939 entlassen. Die letzten Leeraner Juden kamen erst Ende Februar wieder nach Hause, unter ihnen auch Alfred Weinberg.


Die zurückgebliebenen Frauen und Kinder standen nach der Pogromnacht ziemlich mittellos da. Abgesehen von der Tatsache, dass sie auf eigene Rechnung dafür zu sorgen hatten, die Spuren der Plünderungen und Zerstörungen zu beseitigen, wurde allen Juden eine "Schuld" von einer Milliarde Reichsmark auferlegt, angeblich für die Unkosten, die durch den organisierten "Volkszorn" entstanden waren. Aus diesem Grunde wurden im Laufe der nächsten Wochen die restlichen jüdischen Häuser "zwangsarisiert", auch die Häuser der Grünberg-Brüder in Leer und Weener. Den Verkaufserlös erhielt der Fiskus. Damit die Frauen und Kinder nun nicht verhungerten, zweigte man auf Anordnung des Bürgermeisters Drescher vom 22. 11. 1938 von dem beschlagnahmten Geld 500 RM ab und zahlte ihnen davon hin und wieder kleine Unterstützungsbeträge von fünf oder zehn Reichsmark aus. Auch die Weinbergs und Grünbergs erhielten im November je zweimal zehn bzw. fünf Reichsmark.             

Mehreren jüdischen Familien wurde nach der "Zwangsarisierung" ihrer Häuser von den neuen Besitzern bald ihre Wohnung gekündigt, denn für Juden in "arischen" Häusern gab es laut des Gesetzes über "Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1939 keinen Kündigungsschutz mehr. Sie konnten nur noch in ganz wenigen Häusern, sogenannten "Judenhäusern", unterkommen, die die Stadt zu diesem Zweck einstweilen noch in jüdischem Besitz belassen hatte. Hier herrschte bald drangvolle Enge. Auch waren die Kommunen und Landkreise gehalten, einmal monatlich Listen an die Bezirksregierung zu schicken mit allen Um-, Ab- und Anmeldungen der noch verbliebenen Juden.

Im Sommer 1939 musste auch die jüdische Schule in Leer ihre Pforten endgültig schließen, denn der NS-Staat wollte nicht mehr für die laufenden Kosten aufkommen und auch den Lehrer nicht mehr bezahlen. Laut Verordnung vom 4. Juli 1939 war dafür jetzt die Reichsvereinigung der Juden zuständig. Die Mitgliedschaft in dieser Reichsvereinigung, die eine zwangsweise Zusammenfassung aller jüdischen Gemeinden darstellte, war für alle Juden und ehemalige Juden in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen obligatorisch. Die jüdische Gemeinde in Leer und ihre Mitglieder hatten nach den Ereignissen der "Kristallnacht" für den Unterhalt ihrer Schule jedoch keine Mittel mehr. Der letzte jüdische Lehrer, Seligmann Hirschberg, musste mit seiner Familie die Dienstwohnung verlassen und sich nach einer anderen Verdienstmöglichkeit umsehen. Das Schulgebäude ging in den Besitz der Stadt Leer über. Für den Sabbat-Gottesdienst, den man nach der Zerstörung der Synagoge in der Schule gefeiert hatte, wurde in dem ehemaligen koscheren Restaurant in der Kampstraße ein bescheidener Ersatz hergerichtet.  

Zu dem alltäglichen Kampf der jüdischen Eltern um Lebensunterhalt und Unterkunft, sowie zu der Angst vor gewalttätigen Übergriffen der NS-Organisationen, gesellten sich nun auch noch die Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Für sie wurde der Alltag in Leer immer unerträglicher. Sie konnten nicht mehr zur Schule gehen, und in den viel zu kleinen Wohnungen gab es keinen Platz zum Spielen. Sie durften nicht mehr in den Julianenpark und in den Inselgarten auf der Nesse oder auf den Plytenberg. Sie konnten weder auf den Sportplatz, noch in die Badeanstalt an der Georgstraße, noch auf den Spielplatz oder in den Zoo bei "Onkel Heini" in Logabirum. Auch im Kino oder auf dem Gallimarkt durften sie sich nicht mehr sehen lassen. Überall standen Schilder "KEIN ZUTRITT FÜR JUDEN", und auch in fast allen Geschäften waren Juden unerwünscht. Viele Kinder und Jugendliche trauten sich kaum noch auf die Straße.  

Um dem trostlosen Leeraner Alltag zu entgehen und um wenigstens irgendeine Art Ausbildung zu absolvieren, bemühten sich die meisten Jugendlichen um einen Platz in einer Ausbildungsstätte des Chalutz Verbandes. Diese internationale Organisation unterhielt europaweit Einrichtungen, die junge Leute auf ein Leben in Palästina vorbereiteten. Die Jugendlichen wurden dort in handwerklichen Fertigkeiten, in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in mehreren Sprachen ausgebildet. Eine solche Gartenbauschule gab es z.B. in Ahlem bei Hannover. Dorthin ging Dieter Weinberg am 14. Dezember 1938, nachdem er um die Jahreswende 1937/38 schon ein paar Wochen lang vergeblich versucht hatte, in Berlin Fuß zu fassen.

Durch die Unterstützung des Reichsbundes der Jüdischen Frontsoldaten, dem Alfred Weinberg als Weltkriegsteilnehmer angehörte, gelang es Friedel und Albrecht, am 29. April 1939 in das Jugendlager Groß Breesen bei Guben an der Oder aufgenommen zu werden. Die Ausbildungsstätte war in einem ehemaligen Gutshof mit wunderschöner Umgebung untergebracht. Vierzehn- bis achtzehnjährige Jugendliche wurden dort in der Landwirtschaft ausgebildet. Da Friedel und Albrecht hier unter lauter jüdischen jungen Leuten waren, fühlten sie sich nach langer Zeit endlich wieder frei und unbeschwert. Einige Freundschaften, die sie damals dort geschlossen haben, bestehen heute noch. Im Februar 1940, als alle Juden Ostfriesland verlassen mussten, kam auch ihr Cousin August Grünberg aus der Bremer Straße 14a noch dorthin.

Alfred und Flora Weinberg mussten im Sommer 1939 die Wohnung in der Bremer Straße 62 bei Polaks aufgeben und wechselten am 6. Juli in die Reimerstraße 6 zu ihren Verwandten Philipp und Angelica Grünberg. Doch nach Beginn des II. Weltkrieges am 1. September 1939 gab es für die noch in Leer verbliebenen Juden bald eine neue Hiobsbotschaft: Im Januar 1940 beschloss die Gestapo-Leitstelle in Wilhelmshaven, die für das hiesige Gebiet zuständig war, Ostfriesland als "Grenzgebiet zum Feindesland" von potentiellen Spionen zu säubern. Da Juden per se als Feinde des deutschen Volkes galten, beauftragte man den Auricher Synagogenvorsteher Wolffs, bzw. dessen Sohn, dafür Sorge zu tragen, dass alle Juden Ostfrieslands sich bis zum 1. April 1940 einen neuen Wohnsitz außerhalb Ostfrieslands suchten. Wer keine neue Bleibe fand, musste sich den organisierten Transporten nach Berlin anschließen.

Mit einem dieser Transporte verließen auch Alfred und Flora Weinberg die Reimerstraße in Leer am 16. 2. 1940 in Richtung Berlin. Sie durften nur wenig Gepäck mitnehmen und wurden in Alt-Moabit, Charlottenburg, in einem sogenannten "Judenhaus"in der Kirchstraße 22 untergebracht. Jede Familie hatte dort nur ein Zimmer zur Verfügung. Hatten die Weinbergs in Leer oder Weener während der mageren letzten Jahre immer noch ein paar nichtjüdische Bekannte gehabt, von denen sie ein wenig Unterstützung erhoffen konnten, so war ihnen hier in Berlin alles fremd. Da die Versorgung mit Lebensmitteln erbärmlich war, freute sich Flora Weinberg, dass ihre ehemalige Nachbarin Ruth Zimmermann aus Weener sie nicht vergessen hatte und ab und zu ein Päckchen mit Nahrungsmitteln schickte oder auch ein paar Abschnitte einer Lebensmittelkarte. Auf ihrer Karte vom Februar 1943 bedankte sich Frau Flora für die "Bildchen", die sie von Ruth bekommen hatte, "sie waren sehr angebracht."
Alfred Weinberg wurde bald zur Arbeit in einer Fabrik eingeteilt. Zum Glück gab es dort auch ein paar nette Kollegen, die auf ihn Rücksicht nahmen, denn die ungewohnte Arbeit ging ihm in seinem Alter nicht mehr leicht von der Hand.    

Im Februar 1941 wurde das Jugendlager in Groß Breesen aufgelöst. Es hatte seit Beginn des Krieges zwar schon unter der offiziellen Leitung der Gestapo gestanden, aber die interne Organisation war noch in jüdischer Hand geblieben. Friedel und Albrecht Weinberg wurden jetzt mit ihren jugendlichen Kolleginnen und Kollegen in ein Zwangsarbeitslager für Juden nach Wulkow gebracht. Dieses Lager unterstand dem Reichssicherheitshauptamt und lag in Brandenburg in der Nähe von Neuruppin in einem Wald. Sie wurden in Baracken untergebracht und bekamen nur wenig zu essen. Sie mussten zwölf Stunden am Tag Grubenholz schneiden. Manchmal wurden sie auch abkommandiert, um Kohlen oder Briketts auszuladen oder um an Wochenenden irgendwelchen Nazibonzen aus Berlin bei der Treibjagd behilflich zu sein.

Da Wulkow nicht allzuweit von Berlin entfernt lag, verließen Friedel und Albrecht einige Male heimlich das Lager und fuhren mit der Eisenbahn und der S-Bahn nach Berlin zu ihren Eltern. Das war natürlich streng verboten, aber die beiden wagten es trotzdem. "Wir hatten ja nichts mehr zu verlieren. Ein schlechteres Leben als im Lager Wulkow konnten wir uns damals kaum vorstellen," sagen die Geschwister heute. Dabei standen sie jedesmal Todesängste aus und gaben sich unterwegs alle Mühe, nicht aufzufallen. Ihren gelben Stern, den sie seit 1941 tragen mussten, verbargen sie, indem sie die Jacken umdrehten. Als sie ihre Eltern etwa Ende Februar 1943 zum letzten Mal trafen, war Dieter kurz vorher schon abgeholt worden.

Dieter Weinberg muss 1941/42 zu seinen Eltern nach Berlin gekommen sein. Die Gartenbauschule in Ahlem bei Hannover, wo er eine Ausbildung erhielt, wurde während dieser Zeit geschlossen und zur zentralen Sammelstelle aller Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim umfunktioniert. In Berlin wurde Dieter wie sein Vater zur Zwangsarbeit in einer Fabrik verpflichtet.

Schon seit Oktober 1941 wurden von Berlin Juden deportiert: Zuerst in das Ghetto nach Lodz, ab 1942, nach der Wannsee-Konferenz, nach Riga, Minsk und Kowno. Auch nach Theresienstadt und Auschwitz gab es im Laufe des Jahres von Berlin aus etliche Transporte. Die großen Massendeportationen von Berlin nach Auschwitz setzten im Februar 1943 ein. In einem dieser Güterwaggons saß auch Dieter Weinberg. Er wurde direkt von der Arbeitsstelle aus in den Zug verbracht, ohne die Eltern benachrichtigen oder sich von ihnen verabschieden zu können, wie seine Mutter Flora ein paar Tage später auf einer Postkarte ihrer ehemaligen Nachbarin Ruth Zimmermann in Weener mitteilte.                    

Alfred und Flora Weinberg selbst wurden am 17. März 1943 nach Theresienstadt deportiert, denn Alfred Weinberg war als Soldat im I. Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden, so dass das Ehepaar in das Lager für Privilegierte verbracht wurde. Doch auch von dort gingen ab und zu Transporte nach Auschwitz, wenn das Lager in Theresienstadt zu voll wurde. Wo und wann genau ihre Eltern umgekommen sind, wissen Friedel und Albrecht bis heute nicht. Im Jahre 1944 erhielt Friedel in Auschwitz ein einziges Mal eine Karte von ihrer Mutter aus Theresienstadt, seitdem haben sie nichts mehr von ihren Eltern gehört.

Im März 1943 wurden in und um Berlin alle Juden aus den kleinen Arbeitslagern herausgeholt und nach Berlin verfrachtet. Friedel und Albrecht wurden dort in die Hamburger Straße verbracht und von da aus am 19./20. April 1943 gemeinsam mit fast tausend Leidensgenossen mit mehreren Möbelwagen zum Bahnhof Grunewald gefahren, wo die Transporte nach Auschwitz ihren Anfang nahmen.

Da Friedel und Albrecht Weinberg für arbeitstauglich gehalten wurden, entgingen sie glücklicherweise bei der "Selektion" an der "Rampe" in Birkenau den Gaskammern und wurden dort einem Lager zugewiesen wie zuvor schon ihr Bruder Dieter. Albrecht musste dort während der nächsten eineinhalb Jahre bei IG Farben Treibstoff produzieren. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren unmenschlich und der Tod war allgegenwärtig. Während der ganzen Zeit in Auschwitz hatten die drei Geschwister keinen Kontakt. "Ich habe Dieter ein einziges Mal bei einem Appell gesehen, als ich etwa vier Monate im KZ war", erinnert sich Albrecht.

Friedel arbeitete lange Zeit im Stabsgebäude der SS. Dort hatte sie Einblick in die Todeslisten und wusste somit, dass ihre Brüder wahrscheinlich noch am Leben waren, da deren Nummern nicht aufgeführt waren.

Als sie Diphterie bekam und ins Krankenrevier musste, hatte sie mit dem Leben schon fast abgeschlossen. Dreimal fand dort eine Selektion statt, die der berüchtigte KZ-Arzt Dr. Mengele höchstpersönlich vornahm. "Wir mussten uns nackt ausziehen und an ihm und zwei anderen Doktoren vorbeilaufen. Nur wer keine Krätze und Geschwüre hatte und für die Arbeit im Lager nicht zu schwach erschien, durfte bleiben, alle andern gingen ins Gas," erzählt Friedel. Vor einer weiteren Selektion hatte ihre Aufseherin sie gerade aus dem Krankenrevier wieder in die Arbeitsbaracke geholt. "Es ist verrückt, durch welche Zufälle man überlebt hat."

Im Herbst 1944 wurde Albrecht Weinberg mit vielen anderen in das KZ Dora-Mittelbau bei Nordhausen in Thüringen verlegt, dort war in einem Stollensystem u.a. die Produktion für die V-2-Raketen angelaufen. Die Behandlung war hier besonders brutal. Es gab kaum noch etwas zu essen. Die Bewacher und oft auch das technische Personal trieben besonders die jüdischen Häftlinge in Zwölf-Stunden-Schichten ununterbrochen zur Arbeit an. Wer nicht mehr mithalten konnte, wurde ins Kz Auschwitz und ab Anfang 1945 ins KZ Mauthausen geschickt. Im KZ Dora-Mittelbau fand die Vernichtung durch Arbeit in der extremsten Form statt.

Am 1. April 1945 begann die SS mit der Räumung des Lagers. Der "Todesmarsch" ging in das etwa 300 km entfernte KZ Bergen-Belsen. Unterwegs kamen noch Tausende um oder wurden ermordet. "Wer nicht mehr gehen konnte, wurde erschossen oder erschlagen. Wir haben während der kurzen Marschpausen auf den Leichen am Wegrand gesessen, um uns auszuruhen", berichtet Albrecht. Er erreichte dann schließlich mit seinen Leidensgenossen das KZ Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide.

Doch dort war das Elend noch nicht zu Ende, denn infolge der Überfüllung gab es weder Unterkünfte, noch Nahrungsmittel, noch Trinkwasser für die schier unzähligen Neuankömmlinge. Tausende starben in den folgenden Wochen an Entkräftung und an Typhus, der seit Januar im Lager grassierte. Wie schlimm es im KZ Bergen-Belsen zuletzt war, lässt sich aus der Bemerkung einer Holocaustüberlebenden erahnen, die gegen Kriegsende von Auschwitz nach Bergen-Belsen kam. Die alte Dame sagte während der Eröffnung des neuen Dokumentationszentrums in Bergen-Belsen am 28. Oktober 2007: "Gegenüber Bergen-Belsen war Auschwitz das Paradies."

Tröstlich war für Albrecht, dass er hier seine Geschwister Dieter und Friedel wiedertraf. Sie waren auch auf "Todesmärschen" über mehrere Stationen nach hier gelangt. Friedel war zwischenzeitlich noch einige Zeit im KZ Ravensbrück gewesen. Am 15. April 1945 wurde Bergen-Belsen endlich von den Engländern befreit.

Nach Kriegsende machten sich die Geschwister auf die Suche nach ihren Eltern. Zuerst wandten sie sich nach Berlin, da sie verabredet hatten, sich dort zu treffen, "wenn alles vorbei wäre". Sie suchten dort unter anderem nach  Salomon de Vries. Der war mit seiner nichtjüdischen Frau Mena und den drei Kindern 1940 freiwillig nach Berlin gezogen und für viele Leeraner Juden in Berlin im Laufe der Zeit "ein Link zur Außenwelt" geworden. Er hatte zeitweise auch die Post der Weinbergs weitergeleitet. Sie hofften, bei seiner Familie etwas über die Eltern zu erfahren. Doch in Berlin fanden sie keine Bekannten mehr, sondern überall nur noch Trümmer.

Da die Weinberg-Geschwister vermuteten, dass Familie de Vries wieder nach Leer zurückgekehrt war, machten sie sich auch auf den Weg in ihre alte Heimat.
Sie erhielten in Leer eine Wohnung in der Brunnenstraße 11 zugeteilt. Nach und nach erfuhren sie, dass nicht nur ihre Eltern den Holocaust nicht überlebt hatten, sondern dass auch ihre Onkel und Tanten umgekommen waren. Nur ihre Tante Maria Cohen und einige Cousins und Cousinen waren noch am Leben.

Dieter, Friedel und Albrecht Weinberg standen jetzt praktisch vor dem Nichts wie so viele in dem desolaten Nachkriegsdeutschland. Da alle mit dem eigenen täglichen Überlebenskampf beschäftigt waren, konnten die Weinberg-Geschwister kaum Anteilnahme und Unterstützung erwarten.  Obgleich sie von offiziellen Stellen freundlich und zuvorkommend behandelt wurden, wollten im Alltag viele Leute nichts von ihnen wissen.
Die meisten waren verunsichert und wussten nicht, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollten. Außerdem war der über ein Jahrzehnt lang propagierte Antisemitismus ja auch nicht über Nacht aus den Köpfen verschwunden.

Nur mühsam gewöhnten sich die Weinberg-Geschwister wieder an ein "normales" Leben. "Im KZ reduziert man seine Instinkte und Begierden auf den Überlebenswillen", meinte Albrecht, "wir sind als halbe Kinder ins Lager hinein- und als Monster wieder herausgekommen." Die Bilder und Erlebnisse aus dem KZ sind über all die Jahre bis heute nicht aus ihrem Kopf verschwunden.

Mit ihrem angeheirateten Vetter, dem Arzt Dr. Philipp Mayring aus Collinghorst, der mit Cousine Rosa Löwenstein aus Weener verehelicht war, besuchten Dieter und Albrecht noch einmal ihre alten Nachbarn Brunsema in Westrhauderfehn. Auch musste der jetztige Besitzer ihres früheren Hauses am Untenende, Harm Schaa, den Rest der Kaufsumme und die aufgelaufenen Zinsen noch bezahlen. Jedoch konnte man in den Zeiten des Tauschhandels und der "Zigarettenwährung" mit Bargeld nur wenig anfangen.

Am 13. Oktober 1946 traf die Geschwister ein neuer Schicksalsschlag: Dieter Weinberg verunglückte tödlich im Breinermoorer Hammrich. Um seinen Tod ranken sich etliche Gerüchte. Laut Johannes Röskamp erlag er einem Herzschlag; Johann Korrelvink berichtet, dass er beim Angeln in das Sieltief gefallen und ertrunken sei. Beerdigt wurde Dieter Weinberg auf dem jüdischen Friedhof in Leer am Schleusenweg (Grab Nr. 227). Auf seinem Grabstein ist vermerkt, dass er ein Holocaust Survivor war.

Nach Dieters Tod hielt Friedel und Albrecht Weinberg nichts mehr in Leer. Sie beschlossen, möglichst weit weg von Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Nachdem sie viele Monate auf gepackten Pappkoffern in Zeilsheim, einem DP-Lager in der Nähe von Frankfurt/Main verbracht hatten, wanderten sie nach New York aus. Die meisten ihrer überlebenden Cousins und Cousinen ließen sich in Holland nieder, ein paar auch in den USA. Cousine Ruth Heilbronn aus Lingen zog nach England und Vetter Arthur Grünberg aus der Reimerstraße wohnt heute in Australien.

Schon in den frühen fünfziger Jahren weilten Friedel und Albrecht Weinberg ab und an bei ihren Verwandten in Holland. Nach Leer kamen sie 1985 und 1995 anlässlich der Einladung der überlebenden ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt. Bei diesen Gelegenheiten besuchten sie auch kurz  Westrhauderfehn.                                                      

Im Jahre 1996 endlich kamen sie auf Einladung der Gemeinde Rhauderfehn für eine Woche nach Westrhauderfehn. Sie wohnten während der Zeit in Leer. Albrecht und Friedel Weinberg legten Wert darauf, mit der Jugend ins Gespräch zu kommen. Sie diskutierten mit Realschülern in der Kreisrealschule Overledingerland und mit Jugendlichen vom Arbeitskreis Schule in Burlage. Sie beantworteten Fragen auf einer großen öffentlichen Informationsveranstaltung im Rathaus Rhauderfehn und folgten einigen Spuren ihrer Kindheit. So nahmen sie unter anderem an einer Einschulungsfeier in der Sundermannschule teil.

Zwei Jahre später kamen Friedel und Albrecht Weinberg erneut aus New York angereist, um am 3. September 1998 im Beisein der Oldenburger Rabbinerin Lea Wyler und zahlreicher lokaler Prominenz in Westrhauderfehn auf dem Ehrenfriedhof an der 1. Südwieke einen Gedenkstein für die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft zu enthüllen.

Am 7. März 2006 beschloss der Rhauderfehner Gemeinderat nach Rücksprache mit Friedel und Albrecht Weinberg, den Abschnitt des Hagiusrings, der am Ehrenfriedhof vorbeiführt, in "Geschwister-Weinberg-Straße" umzubenennen.

Im Juli 2007 reisten sie zum dritten Treffen ehemaliger jüdischer Bürger nach Leer und beehrten anschließend noch einmal die Gemeinde Rhauderfehn mit einem einwöchigen Besuch.

So gibt es zwischen den letzten beiden Fehntjer Juden und ihrem früheren Heimatort, der sie 1936 loswerden wollte, doch wieder versöhnliche Gesten.


Zeichenerklärungen

*   geboren

 oo  verheiratet

+   gestorben

#   begraben




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Familie Weinberg - Übersicht

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Eltern (A)

A

David Weinberg           I.oo         Johanna W. Goldstein
*  8. 5. 1837         15. 6. 1865     * ca. 1835/36 Lage/Lippe-Detmold              
+ 10.11. 1898            Buer         + vor 1875                           

                         II.oo               Julie Silbermann
                      11. 8. 1875 Buer       * 22. 2. 1847 Lemförde
                                             + 21. 2. 1929 Buer

David Weinberg war Schlachter und wohnte mit seiner Familie
 in Buer am Wiehengebirge.
Dort gab es bei der Erfassung der jüdischen Familien
im Landdrosteibezirk Osnabrück
im Jahre 1844 schon eine Familie dieses Namens,
der ein Baruch Zacharias Weinberg vorstand.
Er stammte aus Lemförde und war David Weinbergs Vater.
Die Familie ist mit den übrigen ostfriesischen Weinberg-Familien
 nicht näher verwandt.

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Kinder aus der ersten Ehe (B)


B.1.

Jakob David Weinberg
*  5.10. 1865 Buer
+ 23. 2. 1869 Buer

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B.2.

Carl Kalmann Weinberg
*  5.12. 1866 Buer
+ 16. 2. 1869 Buer

Da die ältesten Söhne Jakob und Carl beide im Februar 1869
innerhalb einer Woche gestorben sind,
steht zu vermuten,
dass sie einer ansteckenden Krankheit zum Opfer fielen.

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B.3.

Joseph Weinberg             oo                Regine Löwenstein
* 30. 3. 1868 Buer      12. 9. 1897           *  9.11. 1863 Weener
+ Theresienstadt                              +  3. 2. 1942 Buer
  oder Auschwitz

Joseph Weinberg war der letzte jüdische Einwohner von Buer.
Er wohnte gemeinsam mit den Familien von dreien seiner Kinder
 in der ehemaligen Synagoge dort,
die zum zweistöckigen Wohnhaus umgebaut worden war,
nachdem die wenigen Juden in Buer sich 1931
der Synagogengemeinde Osnabrück angeschlossen hatten.
Die Familie Weinberg galt nach dem I.Weltkrieg
und der Inflationszeit als verarmt.
Da Joseph Weinberg das Synagogengebäude schon 1935/36
an einen nichtjüdischen Viehhändler verkauft hatte,
wurde es 1938 nicht zerstört.

Frau Regine verstarb am 3.2.1942 in Buer,
nachdem die Familien ihrer Kinder schon 1941 deportiert worden waren.
Joseph Weinberg soll noch für einige Zeit
in dem Judenhaus in Alfhausen untergekommen sein,
 bevor auch er 1942 nach Theresienstadt
oder ins Ghetto Minsk deportiert wurde.
Frau Regine ist auch unter dem Namen Georgine bekannt.
Ihr Geburtsort Weener lässt darauf schließen,
dass sie eine Schwester des dortigen Schlachters
und Viehhändlers Levie Löwenstein war,
der mit Josephs jüngerer Schwester Esther/Emma verheiratet war.
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B.4.

Salman Weinberg
* 18. 5. 1870 Buer ?

In einer 1897 bis 1920 vom Bürgermeister in Buer geführten Meldeliste,
die beim Heimatverein verwahrt wird,
ist ein Schlachter Sally Weinberg, Sohn des David Weinberg, aufgeführt
, der sich am 9. 5. 1897 von Buer nach Bünde abmeldet.
Es könnte sich dabei um Salman Weinberg handeln.
Als Geburtsdatum wird dort allerdings der 17. 5. 1871 angegeben.

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B.5.

Esther/Emma Weinberg           oo            Levie Löwenstein
* 14. 12. 1872 Buer                          * 18. 8. 1868 Weener  
+ zwischen 1939 und 1942                     + 17. 9. 1942 Auschwitz
              in Zaandam oder Amsterdam                                                           


Die Familie Löwenstein war laut einer Urkunde betreffs
 einer Erbangelegenheit
 schon in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
 in Weener ansässig
 und gehörte zu den wohlhabenden Einwohnern.
Im Adressbuch für Ostfriesland von 1880/81 ist ein Moses Löwenstein,
Schlachter zu Weener, Westerstraße 136, erwähnt.

Er könnte der Vater der Löwenstein-Geschwister.
Auch Levie Löwenstein war ein angesehener Kaufmann,
Viehhändler und Schlachter.
Er lebte mit Frau Emma in Weener in der Westerstraße 30;
das Geschäft hatte die Telefonnummer 70.
Das Ehepaar hatte drei Kinder: Rosa, Max und Dagobert.
Nach der "Kristallnacht" und der Zwangsarisierung
wohnten die Eheleute noch eine Weile im Hause Gerson am Hafen.
Von dort wanderten sie am 23. 5. 1939 nach Zaandam in Holland aus.
Laut den Aufzeichnungen von Johann Olthoff/Weener musste letzterer
als Gemeindedirektor von Amts wegen einen Wagen besorgen,
um das betagte Ehepaar mit dem Gepäck zum Bahnhof zu transportieren,
weil sich sonst keine Fahrgelegenheit finden ließ.

Während der deutschen Besatzung wurde Levie Löwenstein 1942
über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert.
Frau Emma ist im Lager Westerbork nicht registriert worden;
sie ist möglicherweise schon in Zaandam gestorben
oder in Amsterdam, wohin am 14. 1. 1942
alle Zaandamer Juden verschleppt wurden.

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Geschwister Löwenstein:

Eva Löwenstein   
* 10.  5. 1862 Weener
+ verschollen in Lodz  

Eva Löwenstein war unverheiratet und übersiedelte am 21. 2. 1940
ins Israelitische Altersheim Emden,
als die Juden Ostfriesland verlassen mussten.

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Regine Löwenstein           oo             Joseph Weinberg
*  9.11. 1863 Weener    12. 9. 1897        * 30. 3. 1868 Buer
+  3. 2. 1942 Buer                       verschollen in Theresienstadt
                                         oder Auschwitz  

Regine Löwenstein war mit Joseph Weinberg verheiratet,
dem Bruder ihrer Schwägerin Emma aus der Westerstraße.
Sie ist auch unter dem Namen Georgine bekannt.
Das Ehepaar hatte vier Kinder: Henny, Magnus, Rosa und Berthold.
Außer der jüngsten Tochter wohnte die gesamte Familie in Buer
in der ehemaligen Synagoge,
die zum Wohnhaus umgebaut worden war.
Außer Rosa überlebte niemand den Holocaust.

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Ernestine Löwenstein   
* 20. 10. 1865 Weener   
+ 20.  8. 1937 Weener   

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Levie Löwenstein     s. o. !   

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Lazarus Löwenstein                oo           Bertha van der Walde   
*  8.  1. 1871 Weener                         *  9.  5. 1870         
+ verschollen in Minsk                         + verschollen in Minsk

Lazarus Löwenstein betrieb eine Schlachterei
 in der Süderstraße in Weener.
 In der Hetzbeilage der OTZ vom 20. 7. 1935
wird diese dort als jüdisches Geschäft erwähnt.
Das Ehepaar hatte laut Johann Olthoff drei Töchter:
 Minna, Rosa und Martha.
Die beiden letztgenannten waren Damenschneiderinnen
und hatten ihren Betrieb ebenfalls in der Süderstraße.
Auch sie werden in der o.a. OTZ-Hetzbeilage erwähnt.
Die gesamte Familie - außer Minna - zog im Februar 1940 nach Berlin,
als die Juden Ostfriesland verlassen mussten.
Die drei Töchter haben den Holocaust überlebt..

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B.6.

Isaak Weinberg
* ca. 1873/74 Buer?
+ 12.12. 1897 Buer?

Von Isaak Weinberg ist nur das Todesdatum überliefert.
Auf seinem Grabstein in Buer ist zu lesen,
dass er der Sohn des David Levy Weinberg war
und in der Mitte seiner Tage gestorben ist.

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Kinder aus der zweiten Ehe (B)


B.7.

Levy Weinberg    
* 30. 4. 1876 Buer, StAmt Buer Nr. 74/1876

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B.8.

Minna Weinberg
* 22. 8. 1878 Buer, StAmt Buer Nr. 104/1878

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B.9.

Baruch/Bernhard Weinberg       oo            Rahel Grünberg  
* 25. 2. 1881 Melle           28. 10. 1906     *  6. 9. 1875 Jemgum
  Nr. 14/1881 Sta Melle        Weener          + 28. 7. 1942 Minsk
+  8. 5. 1945 / für tot    StAmt Nr. 33/1906   Auf Beschluss des AG    
  erklärt am 6. 4. 1949                        Bremen-Blumenthal      
  vom AG Bremen-Blumenthal                     für tot erklärt:       
  Az.: II 47 - 85/48 -                         8. 5. 1945             

Baruch Weinberg nannte sich im alltäglichen Leben Bernhard.
Trauzeugen bei der Heirat waren sein Schwiegervater,
 Kaufmann Abraham Hartog Grünberg,
 und sein Schwager, der Kaufmann Levie Löwenstein.
Bernhard Weinberg war Handelsmann in Vieh
und Produkten (Schrott und Textilien)
und wohnte mit Frau Rahel und Tochter Caroline Lilly
zuerst ein paar Jahre in Buer,
von 1910 bis 1920 in Westrhauderfehn-Untenende
und danach in Weener neben dem schwiegerelterlichen Haus
 in der Neuen Straße 51 (später: Kommerzienrat-Hesse-Straße).
Nach der "Zwangsarisierung" kam die Familie für einige Zeit
noch in dem "Judenhaus" Am Hafen 26 unter,
bis sie am 14. 2. 1940 nach Bremen-Blumenthal
 in die Wilhelmstraße 9 zog,
um der Zwangsdeportation nach Berlin zu entgehen.
Am 18. 11. 1941 wurde die gesamte Familie gemeinsam
 mit den meisten Bremer Juden
 ins Ghetto Minsk zwangsdeportiert.

Eltern und Geschwister Grünberg: Siehe Familienübersicht GRÜNBERG !

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B.10.

Israel/Isidor Weinberg          oo          Adele Stoppelmann
* 2. 12. 1883 Buer          Fürstenau       * 10. 5. 1873
  StAmt Nr.111/1883                         verschollen im Ghetto Riga
verschollen im Ghetto Riga                  + am 8. 5. 1945 / für tot
+ am 8. 5. 1945 / für tot                     erklärt am 15.3.1957 vom
 erklärt am 15.3.1957 vom                     Amtsgericht Fürstenau
 Amtsgericht Fürstenau                        Nr. II 42/56
 Nr. II 41/56

Israel Weinberg nannte sich im alltäglichen Leben Isidor
und in der Meldeliste des Bürgermeisters von Buer
 heißt er einmal sogar Julius.
Auch bei den Angaben betreffs
seines Geburtstages und Geburtsortes
 ließ er eine gewisse Großzügigkeit walten.
 Am 4.3.1899 meldete er sich als 15jähriger Haussohn
 des Schlachters Weinberg
 nach Versmold ab und kehrte gut zwei Jahre später
am 25.5.1901 als Handlungslehrling von dort nach Buer zurück.
 Knapp ein Jahr danach, am 10.3.1902,
wechselte er als "Viehhändlergehülfe" nach Melle.
 Wann er wieder nach Buer zurückkehrte,
geht aus den Unterlagen nicht hervor.
Am 24.2.1908 verzog er als Viehhändler nach Fürstenau,
 wo er Adele Stoppelmann heiratete
und seinen endgültigen Wohnsitz nahm.
Das Ehepaar wurde 1942 in das Ghetto Riga deportiert
 und ist seitdem verschollen.
 Aus der Ehe ging mindestens ein Sohn Walter hervor,
 der nach der NS-Zeit in den USA lebte.

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B.11.

Heinemann/Hermann Weinberg
*  5. 5. 1886 Buer, StAmt Nr. 47/1886
+ 30. 8. 1917 in Frankreich

Heinemann Weinberg nannte sich im alltäglichen Leben Hermann.
Am 25.4.1900 meldete er sich als 14jähriger Lehrling nach Paderborn ab.
 Nach Beendigung der Lehrzeit muss er ins Elternhaus zurückgekehrt sein,
 denn am 1.4.1907 verzog er von Buer nach Schöttmar bei Herford.
Zu der Zeit war er schon Viehhändler.
Hermann Weinberg fiel im I. Weltkrieg in Frankreich.
 Sein jüngerer Bruder Alfred, der auch in Frankreich Soldat war,
 schickte im Jahre 1917 ein Foto von dessen Grab nach Hause.
 Auf der Rückseite stand:
"Ich habe die Chance gehabt,
das Grab zu photographieren,
jetzt wißt Ihr wenigstens, wo er ruht."
Das Foto ist heute noch im Besitz von
 Albrecht und Frieda Weinberg in New York bzw. Florida.


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B.12.

Alfred Weinberg                 oo             Flora Grünberg  
* 18. 7. 1889 Buer        11. 1. 1920    * 27. 11. 1886 Jemgum
  StAmt Buer Nr. 77/1889      Weener           + Theresienstadt?     
+ Theresienstadt?          StAmt Nr. 1/1920                          
Er wurde durch Urteil
vom Amtsgericht Osnabrück und Amtsgericht Tiergarten von Berlin
vom 8. 3. 1955
für tot erklärt.Eingetragen beim StAmt I in Berlin
- Buch für Todeserklärungen - Nr. 48523/1955.  

Das Ehepaar wohnte ab Januar 1920 in Westrhauderfehn-Untenende
und übernahm das Viehhandels-und Produktengeschäft,
 das die Geschwister dort aufgebaut hatten.
Den Eheleuten wurden drei Kinder geboren:
Diedrich, Frieda und Albrecht.
 Im Januar 1936 mussten Haus und Grundstück
 an den Werftbetreiber und Reeder
Harm Schaa von der Witten Hülle weit unter Wert verkauft werden.
 Alfred Weinberg und Frau Flora zogen nach Leer
 in die Bremer Straße 62.
Am 6. Juli 1939, als die Kinder schon nicht mehr bei ihnen waren,
 wechselten sie noch zur Reimerstraße 6.
Am 16. 2. 1940 wurden beide nach Berlin zwangsdeportiert.
 Dort wohnten sie in Alt-Moabit, Kirchstraße 22.
Am 17. 3. 1943 wurden sie von dort
in das KZ Theresienstadt deportiert,
 da Alfred Weinberg als Weltkriegssoldat
mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war
 und deshalb als privilegiert galt.

Eltern und Geschwister Grünberg: Siehe Familienübersicht GRÜNBERG !

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B.13.

Jakob Weinberg
* 30. 3. 1894 Buer, StAmt Nr. 36/1894


Als 12jähriger Schüler meldete sich Jakob Weinberg
am 12.4.1906 nach Weener ab.
 Dort wohnte seine Schwester Emma mit ihrer Familie.
 Es muss ihm in Ostfriesland gefallen haben,
 denn zwei Jahre später,
am 30.4.1908 trat er eine Lehrstelle in Aurich an.
 Am 8.1.1914 kehrte er  als frischgebackener Handlungsgehilfe
 wieder ins Elternhaus zurück.
 Am 4.9.1918 gab er bei seiner Rückkehr nach Buer
 als Beruf Kaufmann an
und als Herkunftsort wurde Felde genannt.
Das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Aurich.
 Es könnte aber auch bedeuten,
dass er sich gegen Ende des Krieges aus dem Felde zurückmeldete.


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Enkelkinder (C)


Zu B.3.

C.1.

Henny/Johanne Weinberg          oo         Max Löwenstein
* 25. 5. 1898 Buer                         * 12.10. 1888   
verschollen im Ghetto Riga                 verschollen im Ghetto Riga

Henny Weinberg ist auch unter dem Namen Johanne bekannt.
 Die Eheleute wohnten zusammen mit den Eltern Weinberg
und den Familien zweier Geschwister
in der ehemaligen Synagoge in Buer.
Sie hatten einen Sohn Moses/Manfred.
Am 10. Dezember 1941 wurden alle drei ins Ghetto Riga deportiert,
 wo sie umgekommen sind.

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C.2.

Magnus Weinberg                oo          Rosa Gadiel
*  3. 8. 1900 Buer                         *  4. 3. 1907
verschollen im Ghetto Riga               verschollen im Ghetto Riga

Die Eheleute wohnten mit den Eltern Weinberg
und den Familien einiger Weinberg- Geschwister
in Buer in dem zum Wohnhaus umgebauten Synagogengebäude.
 Sie hatten einen Sohn Berthold.
Am 10. Dezember 1941 wurde die gesamte junge Familie
in das Ghetto Riga deportiert, wo alle umgekommen sind.

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C.3.

Rosa Weinberg                oo            Adolf Faymann     
* 12. 9. 1903 Buer       14.12.1940     
+ 20.10. 1984 Melle

Die Eheleute wohnten in Melle,
sind anscheinend um 1933 nach Hannover gezogen.
 Im Dezember 1941 wurden sie in das Ghetto Riga deportiert.
 Frau Rosa überlebte den Holocaust
und kehrte nach dem Krieg wieder nach Melle zurück.

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C.4.

Berthold Weinberg  
* 30. 9. 1909 Buer
+ 22. 8. 1941 Weimar II

Berthold Weinberg wohnte mit seinen Eltern und Geschwistern
 ebenfalls in dem ehemaligen Synagogengebäude.
 Er war unverheiratet.
Er wurde deportiert, anscheinend ins Konzentrationslager Buchenwald,
 denn dafür war das Standesamt Weimar zuständig.
Dort kam er am 22. 8. 1941 um.

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Zu B.5.  

C.5.

Rosa Löwenstein                 oo            Dr. Philipp Mayring
*  6. 2. 1898 Weener           ca.1917        * 18.12. 1885
+  nach 1950                   Weener?        + nach 1950    


Dr. Philipp Mayring war Arzt
und betrieb eine Privatpraxis in der Westerstraße 8 in Weener,
wie Johann Olthoff berichtet.
Später ließ sich das Ehepaar in Collinghorst nieder,
 wo Dr. Mayring nachweislich ab 1932
seine Praxis an der Hauptstraße hatte
 und laut Amtsblatt der Regierung zu Aurich
vom 19. 11. 1932 zur Kassenpraxis zugelassen wurde.
                                                                
Geheiratet hat das Paar wahrscheinlich im Jahre 1917.
 Als Frau Rosa sich am 17. 1. 1918
 nach einem Besuch bei ihrer Großmutter in Buer wieder abmeldete,
 führte sie schon den Familiennamen Mayring.
 Die Eheleute hatten zwei Kinder:
 Leonhard Heinrich - Heinz genannt -
 und Rosemarie mit den Rufnamen Rosi oder auch Uschi.
 Frau Rosa war auch unter dem Namen Resie bekannt.
Dr. Philipp Mayring gehörte nicht der mosaischen Religion an,
 er war evangelisch, ebenso die beiden Kinder.
 Er ließ sich 1938/39 an der Hauptstraße in Collinghorst
ein neues Haus errichten
und konnte seine Praxis während der ganzen Kriegszeit
 und noch bis Anfang der fünfziger Jahre
 zum Segen der Bevölkerung weiterbetreiben.
 Frau Rosa begleitete ihn meistens bei seinen Hausbesuchen,
 steuerte den Wagen durch die Sandwege
und assistierte ihm bei komplizierten Fällen.

Sie durfte aufgrund des "privilegierten Mischehen-Status'"
 1940 in Collinghorst bleiben.
 Auch wenn sich während des Boykotts am 1. April 1933
SA-Posten vor der Arztpraxis postierten,
 hatten lokale amtliche Stellen anscheinend ein Interesse daran,
 die Familie möglichst unbehelligt zu lassen,
 denn in einer Liste über die Meldung
der noch verbliebenen Juden im Landkreis Leer im Sommer 1940
 wird Frau Rosa als "Halbjüdin mit arischem Vater", aufgeführt.
Über ihre Religion wird nichts gesagt,
ihr Beruf wird mit Hausfrau,
Ehefrau des Dr. med. Mayring in Collinghorst,
 angegeben.
 Sie entging Ende 1944 der Deportation nach Theresienstadt
 durch einen Krankenhausaufenthalt,
so dass sie glücklich die NS-Zeit überlebte.
Etwa um 1950 verzog die Familie nach Hamburg.
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C.6.

Max Löwenstein                 oo          Johanna Rosenberg
* 21. 5. 1899 Weener                       * 18. 1. 1899 Soest      
+ 21. 1. 1945 Mitteleuropa                 + 28. 1. 1944 Auschwitz
wahrscheinlich auf einem
Todesmarsch

Max Löwenstein war Viehhändler.
Im Adressbuch von 1926 wird er unter Westerstraße 30 geführt,
 wie sein Vater. Später muss die Familie "Am Hafen" gewohnt haben,
 denn in der Hetzbeilage der OTZ vom 20. 7. 1935
 wird er unter dieser Adresse angegeben.
Max und Johanna Löwenstein wanderten am 26. 8. 1937
 nach Zaandam in Holland aus,
wohin ihnen 1939 seine Eltern folgten.
 Das Ehepaar wurde über das Lager Westerbork
 nach Auschwitz deportiert.

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C.7.

Dagobert Löwenstein  
* 16. 7. 1908 Weener  

Dagobert wanderte am 24. 2. 1938 nach Argentinien aus.

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Zu B.9.

C.8.

Caroline Lilly Weinberg
* 4. 3. 1907 Buer, StA Buer Nr. 33/1907  
+ für tot erklärt 8. 5. 1945 vom AG Bremen-Blumenthal am 4. 11. 1949
  Az.: II 47 - 85/1948  

Lilly wurde in Buer geboren
und hatte dort schon zweieinhalb Jahre mit ihren Eltern gelebt,
 als die sich im Mai 1909 nach Westrhauderfehn abmeldeten.
 Bis 1920 wohnte Familie Weinberg
in dem neuerbauten Haus in Westrhauderfehn-Untenende.
 Dort wurde Lilly 1913 auch eingeschult.
 Ab 1920 wohnte sie in Weener,
 in der Neuen Straße 51 (später: Kommerzienrat-Hesse-Straße)
 neben dem Haus ihrer Großmutter Frauke Grünberg.
 Als erwachsene Frau muss Lilly sich eine Zeitlang
 in Frankfurt am Main aufgehalten haben,
 denn dort wurde 1935 ihre Tochter Annemarie / Rosel geboren.
Am 14. 2. 1940 verzog sie mit ihren Eltern und ihrer Tochter
 nach Bremen- Blumenthal, Wilhelmstraße 9,
um der Zwangsdeportation aus Ostfriesland zu entgehen.
 Am 18. 11. 1941 wurde sie mit ihrer gesamten Familie
 in das Ghetto Minsk deportiert, wo sie umkam.

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Zu B.10.

C.9.

Walter Weinberg

Walter Weinberg wohnte in den 1950er Jahren in Cansas City/USA.
 Er beantragte damals eine Todeserklärung für seine Eltern,
 den Viehhändler Isidor Weinberg
und dessen Ehefrau Adele geborene Stoppelmann,
 beim Amtsgericht Fürstenau,
dem letzten Wohnsitz seiner Eltern,
 bevor sie 1941 ins Ghetto Riga deportiert wurden.

Ob Walter Weinberg damals auch verschleppt wurde
und den Holocaust überlebt hat,
 oder ob er schon vorher ausgewandert war, lässt sich nicht feststellen.

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Zu B.12.

C.10.

Diedrich/ Dieter Weinberg
* 23.8.1922 Westrhauderfehn

  
+   13. 10. 1946    Leer                                            

 Er verunglückte tödlich im Breinermoorer Hammrich,           

# Leer/Schleusenweg Nr. 227  

Dieter war der älteste Sohn von Alfred und Flora Weinberg.
Er musste 1936 die Mittelschule in Westrhauderfehn verlassen
 und begann eine kaufmännische Lehre in Emlichheim.
 Am 23. 6. 1937 kehrte er zu seiner Familie zurück,
 die inzwischen in Leer in der Bremer Straße 62 wohnte.
 Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin
 um die Jahreswende 1937/38
 verließ er Leer endgültig am 14. 12. 1938
 und zog nach Ahlem bei Hannover in die Gartenbauschule.
 Später wohnte er wieder bei seinen Eltern,
 die im Februar 1940 nach Berlin zwangsumgesiedelt worden waren.
 Dieter Weinberg wurde zur Zwangsarbeit in einer Fabrik eingeteilt
 und von dort im Februar 1943 nach Auschwitz deportiert,
wo er höchstwahrscheinlich bei IG-Farben zwangsarbeiten musste.
 Er überlebte das KZ und die Todesmärsche
 und wurde im April 1945 in Bergen-Belsen von den Engländern befreit.
Nach dem Krieg lebte er mit seinen Geschwistern
 wieder in Leer in der Brunnenstraße 11
und kam mit seinem angeheirateten Vetter
 Dr. Philipp Mayring aus Collinghorst noch einmal nach Westrhauderfehn,
 wo er unter anderem die früheren Nachbarn Brunsema aufsuchte.  

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C.11.  

Frieda/ Friedel Weinberg  
* 14. 11. 1923 Westrhauderfehn

Friedel musste 1936 die Untenendjer Schule in Westrhauderfehn verlassen
und die jüdische Schule in Leer besuchen.
 Sie wohnte in Leer bei Bekannten,
 der Familie Frank in der Bremer Straße 64,
 bis ihre Eltern nach Leer in die Bremer Straße 62 umzogen.
 Nach der Schulentlassung arbeitete sie
 von Mitte August bis zur Pogromnacht am 9. November 1938
 in einem Emder Geschäftshaushalt.
 Sie verließ Leer am 29. 4. 1939
mit ihrem Bruder Albrecht nach Groß-Breesen bei Guben an der Oder.
 Dort wurde sie in einem Jugendlager des Chaluz
 in der Landwirtschaft ausgebildet.
 Im Februar 1941 wurde sie in das Zwangsarbeitslager Wulkow
 bei Neuruppin eingewiesen.
Dort wurde sie bei Waldarbeiten eingesetzt.
 Nach Auflösung dieses Lagers im Frühjahr 1943
 wurde sie von Berlin aus nach Auschwitz deportiert,
 wo sie in das Frauenlager kam.
Gegen Kriegsende wurde sie nach Bergen-Belsen evakuiert,
 wo sie ihre Geschwister wiedertraf
und im April 1945 von den Engländern befreit wurde.
Sie wohnte nach dem Krieg zuerst mit ihren Geschwistern
 in Leer in der Brunnenstraße 11.
 Nach dem Tod ihres Bruders Dieter wanderte sie
mit ihrem Bruder Albrecht nach New York aus.


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C.12.

Albrecht/ Alwin Weinberg
* 7. 3. 1925 Westrhauderfehn

Albrecht musste wie seine Schwester Friedel 1936
 die Schule am Untenende in Westrhauderfehn verlassen
und die jüdische Schule in Leer besuchen.
 Er kam bei Verwandten in Leer, der Familie Willy Cohen,
 in der Bremer Straße 70 unter,
bis seine Eltern nach Leer in die Bremer Straße 62 zogen.
 Nachdem die jüdische Volksschule geschlossen worden war,
 verließ er Leer am 29. 4. 1939 mit seiner Schwester
 nach Groß-Breesen bei Guben/Oder.
 Wie seine Schwester Friedel
kam er im Februar 1941 in das Zwangsarbeitslager Wulkow
 bei Neuruppin und wurde mit ihr zusammen am 19./20. April 1943
 von Berlin aus nach Auschwitz deportiert.
Im Herbst 1944 kam er in das KZ Dora-Mittelbau in Thüringen
 und wurde von dort im April 1945
auf einem Todesmarsch zum KZ Bergen-Belsen getrieben,
 wo er am 15. April von den Engländern befreit wurde.
 Hier traf er auch seine Geschwister wieder.  
Er wohnte nach dem Krieg zuerst mit seinen Geschwistern
 in Leer in der Brunnenstraße 11.
Nach dem Tod seines Bruders Dieter
 wanderte er mit seiner Schwester Friedel nach New York aus.

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Beide Geschwister folgten 1985 und 1995 der Einladung der Stadt Leer
 zu einem Treffen der ehemaligen jüdischen Einwohner.
 Bei dieser Gelegenheit wurden auch wieder Kontakte
 nach Westrhauderfehn geknüpft.
1996 weilten Frieda und Albrecht Weinberg für eine Woche
 auf Einladung der Gemeinde Rhauderfehn in Westrhauderfehn.
 Im Jahre 1998 reisten beide noch einmal an,
 um in Westrhauderfehn den Gedenkstein
zur Erinnerung an die Opfer der Naziherrschaft zu enthüllen.
 Im Anschluss an das letzte Treffen der ehemaligen jüdischen Einwohner
 der Stadt Leer im Jahre 2007
kamen Friedel und Albrecht Weinberg
 zu einem dritten offiziellen Besuch für eine Woche nach Westrhauderfehn.
 Bei dieser Gelegenheit besuchten sie auch
 den Geburts- und Wohnort ihrer Vorfahren in Buer.

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Ein weiteres Mitglied der C-Generation der Familie Weinberg
 ist wahrscheinlich Johanna Weinberg,
 * 13. 2. 1899 Ennigloh (bei Bünde),
 ledig, Pensionärin,
die sich am 9. 1. 1923 in Westrhauderfehn anmeldete
 und bis zum 25. 9. 1924
 im Hause Alfred Weinberg wohnte.
 Sie verzog dann nach Ahle bei Herford.

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Urenkelkinder (D)


Zu C.1.

D.1.

Moses/Manfred Löwenstein
* 13. 9. 1940 Osnabrück
verschollen im Ghetto Riga

Manfred Löwenstein wurde im Alter von fünfzehn Monaten
 mit seinen Eltern Max und Henny Löwenstein
am 10. Dezember 1941 von Buer aus in das Ghetto Riga deportiert.
Dort ist er umgekommen.

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D.2.

Berthold Weinberg
* 19. 7. 1941 Melle
verschollen im Ghetto Riga

Berthold Weinberg wurde als Säugling im Alter von knapp fünf Monaten
 mit seinen Eltern Magnus und Rosa Weinberg am 10. Dezember 1941
von Buer aus in das Ghetto Riga deportiert.
Dort ist er umgekommen.

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Zu C.5.

D.3.

Leonard Heinrich/ Heinz Mayring    oo    Huberta Gerarda Tettow
* 30. 10. 1918 Weener                    *  



Heinz Mayring wuchs als ältestes Kind
 von Dr.Philipp Mayring und Rosa geborene Löwenstein
 in einem Arzthaushalt in Weener auf.
 Er war evangelisch wie sein Vater.
 Seine jüdischen Großeltern Löwenstein
 wohnten in der gleichen Straße nur ein paar Häuser entfernt.
 Als 1929 seine Schwester Rosemarie geboren wurde,
war er schon ein Teenager.
Im Jahre 1932 zog Familie Mayring nach Collinghorst,
 wo sein Vater eine Landarztpraxis übernahm.  
In der NS-Zeit wurde das Leben schwieriger.
Heinz wurde gemäß den NS-Rassegesetzen als "1/4 Jude" eingestuft
 oder als "Mischling zweiten Grades",
 wie es damals hieß.
Glücklicherweise durfte er weiterhin das Gymnasium in Leer besuchen.
    
In den dreißiger Jahren spielte er Fußball
bei der Sportvereinigung / TuRa 07 in Westrhauderfehn.
 Bei einem Verbandsspiel der Jugendmannschaften
gegen Concordia Jhrhove im Jahre 1932
war er am 5:3-Sieg als Stürmer beteiligt.
Auch im Turnverein TuS Collinghorst
 stand er als Übungsleiter und Betreuer
 stets zur Verfügung
und bekleidete zeitweise auch den Posten eines Spartenleiters.
Nach dem Abitur wurde er zur Wehrmacht eingezogen
 und machte den Krieg vom Anfang bis zum Ende mit.
 Während der letzten Jahre war er in Holland eingesetzt.
In der Nachkriegszeit war er von 1947 bis 1948
 der 1. Vorsitzende des Sportvereins VfB Rajen.
Nach dem Krieg heiratete er Huberta Gerarda Tettow.
 Ihr Rufname war Berta.
Sie gehörte der römisch-katholischen Konfession an.
 Das Paar wohnte zuerst in Westrhauderfehn/ Rajen 120a,
 wo Heinz Mayring im Bahnschen Hotel Frisia
ein Filmatelier und ein Filmtheater betrieb.
Auch hatte er von den Besatzungsbehörden die Lizenz
 für den gesamten Filmverleih im hiesigen Raum bekommen.
 Am 30. 3. 1949 wurde in Westrhauderfehn
 Sohn Lothar Philipp Hermann geboren,
 der am 23. 4. 1949 in der Kirche St. Bonifatius
von Dechant Lüken getauft wurde.
 Paten waren Dr. Philipp Mayring und der Lehrer Philipp Ernst.
 Bei dem Taufeintrag lautet der Vorname des Vaters "Bernard Heinrich".
Als die Tochter Gabriele Rosemarie 1952 zur Welt kam,
 wohnte die Familie in Hagen,
 wo am 27. 7. 1952 auch die Taufe stattfand.
 Paten waren diesmal die Mutter selbst und Jakob G. von Weerel.
Beim Eintrag dieser Taufe bei der Kirchengemeinde St. Bonifatius
 wurde der Name des Vaters korrekt mit "Leonard Heinrich" angegeben.
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D.4.  

Rosemarie/Rosi Mayring  
* 30. 12. 1929 Weener  

Nach Auskunft von Frerich Buscher aus Collinghorst
 wurde sie nicht nur Rosi,
sondern auch Uschi gerufen.
 Auch Gerhard Brandt aus Westrhauderfehn,
 der in Collinghorst aufgewachsen ist,
kennt sie unter diesem Namen.
Rosi Mayring war evangelisch wie ihr Vater.
 Gemäß den NS-Rassegesetzen war sie ein "Mischling zweiten Grades"
 oder "1/4 Jude".
Sie zog als Kleinkind mit ihrer Familie von Weener nach Collinghorst.
 Sie besuchte die Teletta-Groß-Schule,
 die Oberschule für Mädchen, in Leer,
und sie war auch Mitglied im BdM.
 Als eifrige Turnerin beim TuS Collinghorst
gehörte sie 1940 gehörte schon der "Damenturnriege" an.

In seiner Schrift "Die letzten Kriegstage in Collinghorst und Rajen 1945",
 die er zusammen mit Ilse Hamel herausgegeben hat,
 berichtet Gerhard Brandt,
 dass er eines Tages 1943/44
mit einigen Mitschülern und Mitschülerinnen
 - darunter auch Uschi Mayring -
auf dem Bahnsteig in Ihrhove
 auf den Anschlusszug der Kleinbahn nach Collinghorst wartete.
 Er erlebte,
wie ein langer Zug mit Viehwaggons
 aus den Niederlanden langsam den Bahnhof Ihrhove passierte.
 Plötzlich warf jemand
durch einen Lüftungsschlitz einen gefalteten Zettel aufs Gleis.
 Ein Bahnbeamter hob ihn auf und gab ihn Uschi,
 da er an Dr. Mayring in Collinghorst adressiert war.
 Später während der Fahrt mit der Kleinbahn weinte Uschi.
 Sie vertraute Gerhard Brandt dann an,
 dass der Zettel von Familienangehörigen stammte,
 die vom Lager Westerbork auf dem Weg in den Osten waren.
Dass das nichts Gutes bedeutete,
war den meisten Menschen auch auf dem Land damals wohl klar.  

Laut Frerich Buscher soll sich Uschi später nach Papenburg verheiratet haben.

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Zu C.8.  

D.5.  

Annemarie / Rosel Weinberg  
* 5. 10. 1935 Frankfurt/Main  
+ verschollen im Ghetto Minsk  

Rosel - unter diesem Namen war sie in Weener bekannt -
 wohnte Ende der dreißiger Jahre mit ihrer Mutter
 und ihren Großeltern in der Kommerzienrat-Hesse-Straße in Weener;
ab 1938 dann Am Hafen 26.
1940 verzog sie mit ihrer Familie
 nach Bremen- Blumenthal, Wilhelmstraße 9.
Dort wurde sie unter dem Namen Annemarie geführt.
 Wie der korrekte Name lautete, lässt sich nicht klären,
 da das Standesamt Frankfurt aus Datenschutzgründen keine Auskunft gibt.
 Am 18. 11. 1941 wurde sie  mit ihrer gesamten Familie
 in das Ghetto Minsk deportiert, wo sie umkam.              

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Die Daten dieser Familienübersicht entstammen folgenden Quellen:


Grab- und Gedenksteine auf den jüdischen Friedhöfen in Leer und Weener

StAmt Melle/Geburtsregister

StAmt Weener/Heiratsregister

Auswahl der Einwohnermeldeliste Buer

Einwohnermeldeamt Rhauderfehn

Geburts- und Taufbuch der katholischen Kirchengemeinde
 St. Bonifatius in Westrhauderfehn

StA Aurich, Rep 16/1 Nr. 4412

Amtsblatt der Regierung zu Aurich, Stück 47, vom 19. November 1932

Grundbuch von Westrhauderfehn, Band XVIII, Blatt Nr. 680

Gedenkboeken der Oorlogsgravenstichting des Lagers Westerbork

Arbeitskreis " 50. Jahrestag Synagogenbrand Weener":
 Verzeichnis der am 16. Juni 1933 in Weener wohnhaft gewesenen Juden

Es geht tatsächlich nach Minsk
- Zur Erinnerung an die Deportation von Bremer Juden am 18. 11. 1941
 in das Vernichtungslager Minsk,
Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen - Heft 21 - 2. Auflage 2001  

Gerhard Brandt und Ilse Hamel,
Die letzten Kriegstage in Collinghorst und Rajen 1945, Collinghorst 2005

Israel Gutman, Enzyklopädie des Holocaust, München und Zürich 1995

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen,
 Bd.I, Hannover und Jerusalem o.J.

Menna Hensmann, Dokumentation "Leer 1933 - 1945", Leer 2001

Wilhelm Luikenga, Festschrift "75 Jahre TuRa 07 Fußball"
 Generalanzeiger, März 1995

Heinz Schöning,
Vereinschronik des VfB Rajen von der Gründung 22.09.1930
 bis zum Vereinsjubiläum 1980

Protokollbuch des Sportvereins TuS Collinghorst

Johann Olthoff, Erinnerungen an die jüdischen Familien in Weener,
 Weener 1979, mit Ergänzungen von Morris/ Moritz de Vries, Florida

Johannes Röskamp,
Genealogien der jüdischen Gemeinde Leer/Ostfriesland
 von ca. 1800 bis 1945, Leer 1984

Johannes Röskamp, Zur Geschichte der Juden in Leer, Leer 1985  

Chronik der Volksschule Collinghorst

Fred Schwarz, Züge auf falschem Gleis, Wien 1996

Der Kreis Leer, Kiel 1932

Dokumentationen anlässlich der Besuche
 der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Leer 1985 und 1995  
                                         

Adressbuch für die Ortschaften des Kreises Leer,
 des Fleckens Weener und für die Ortschaften des Kreises Weener 1926

Das Handbuch für das Oberledingerland
 - Ein lokales Telefonverzeichnis für das Jahr 1950

Mündliche und schriftliche Auskünfte von

Frerich Buscher, Collinghorst

Dietmar und Edeltraud Preuß, Buer

Albrecht und Frieda Weinberg, NewYork / Florida

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Zeichenerklärungen

*   geboren

 oo  verheiratet

+   gestorben

#   begraben











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